Dune 01: Der Wüstenplanet
öfters vereinzelten Menschengruppen, die sich in den Eingängen aller möglichen Abzweigungstunnels aufhielten. Einige Leute kamen an ihnen vorbei. Sie trugen große Beutel, in denen es gluckerte, und strömten eine Wolke von Gewürzduft aus.
»Unser Wasser und das Gewürz darf niemandem in die Hände fallen«, sagte Harah. »Aber wir sorgen schon dafür, daß alles rechtzeitig in Sicherheit gebracht wird.«
Paul warf einen Blick in die Öffnungen der Tunnelwand und sah eine Reihe von Fremen, die auf schweren Teppichen lagen. Auch die Wände waren mit Textilien verkleidet. Die Leute wandten sich, kaum daß sie Pauls Anwesenheit bemerkten, sofort um und starrten ihn ungeniert an.
»Die Leute finden es alle unverständlich, daß du Jamis besiegt hast«, meinte Harah. »Es könnte sein, daß du, sobald wir einen anderen Sietch erreicht haben, dem einen oder anderen deine Kraft beweisen mußt.«
»Ich töte nicht gern«, erwiderte Paul.
»Das sagt auch Stilgar«, gab sie zurück. Ihre Stimme zeigte deutlichen Unglauben.
Vor ihnen erklang plötzlich ein schriller Singsang, der ständig lauter wurde. Sie kamen zu einer Felsöffnung, die größer war als alle, die Paul bisher gesehen hatte. Er verlangsamte seinen Schritt und starrte in einen Raum hinein, in dem viele Kinder mit gekreuzten Beinen auf dem Boden saßen.
An der gegenüberliegenden Wand, vor einer Tafel, stand eine Frau in einer gelben Robe. Sie hielt einen Zeigestock in der Hand. Auf der Tafel waren eine Menge Abbildungen zu sehen: Kreise, Winkel, Kurven, Schlangenlinien und Vierecke; Halbkreise, die von Parallelen geschnitten wurden. Die Frau deutete nacheinander mit raschen Bewegungen auf ein Zeichen nach dem anderen, während die Kinder im Rhythmus ihrer Hand sangen.
Paul horchte. Ihm fiel auf, daß die Stimmen, mit jedem Schritt, den er mit Harah tiefer in das Höhlensystem hinein machte, leiser wurden.
»Baum«, sangen sie. »Baum, Gras, Düne, Wind, Berg, Hügel, Feuer, Blitz, Fels, Felsen, Staub, Sand, Hitze, Obdach, Hitze, Winter, Kälte, Leere, Erosion, Sommer, Höhle, Tag, Spannung, Mond, Nacht, Caprock, Sandflut, Abhang, Pflanzung, Binder ...«
»Ihr unterrichtet die Kinder noch in solchen Zeiten?« fragte Paul.
Harahs Gesicht war ernst, und ihre Stimme ebenfalls, als sie sagte: »Was Liet uns gelehrt hat, darf nicht einen Moment unterbrochen werden. Auch wenn er jetzt tot ist: wir werden ihn nie vergessen. So ist die Art der Chakobsa.«
Sie kreuzten einen Weg und bogen nach links ab, traten auf einen erhöhten Absatz, schoben einen orangefarbenen Gazevorhang beiseite und blieben stehen. Harah sagte: »Dein Yali ist bereit für dich, Usul.«
Paul zögerte, bevor er ihr in den dahinterliegenden Raum folgte. Er fühlte sich plötzlich unwohl dabei, mit dieser Frau allein zu sein, und ihm wurde bewußt, daß er hier eine Welt betrat, die man nur verstehen konnte, wenn man sich dazu durchrang, ökologisch zu denken. Die Welt der Fremen, empfand er, begann mit allen verfügbaren Händen nach ihm zu greifen und ihn zu vereinnahmen. Und er wußte, was dies bedeutete – den wilden Djihad, den religiösen Krieg, den er, wie ihm seine Gefühle sagten, um jeden Preis zu verhindern hatte.
»Dies ist dein Yali«, hörte er Harah sagen. »Warum zögerst du?«
Paul nickte und trat ein. Er schob den linken Teil des Vorhangs zur Seite und spürte dabei, daß Metallfäden darin eingewoben waren. Er folgte Harah in einen kleinen Vorraum und dann in ein größeres, quadratisches Zimmer, das mehr als dreißig Meter im Quadrat maß. Auf dem Boden lagen dicke blaue Teppiche, während blaugrüne Wandbehänge die Felswände verbargen. Rote Gewebe hingen unter der Decke, ebenso vier Leuchtgloben.
Es kam ihm vor wie das Innere eines Zeltes.
Harah stand vor ihm, legte die Linke auf ihre Hüfte und sah ihn eindringlich an. »Die Kinder sind bei einem Freund«, erklärte sie dann. »Sie werden sich dir später vorstellen.«
Paul verbarg sein Unbehagen dadurch, indem er den Raum einer eingehenden visuellen Untersuchung unterzog. Hinter einem Vorhang zu seiner Rechten lag ein weiterer Raum, an dessen Wänden Kissen aufgestapelt lagen. Er spürte einen leichten Luftzug und sah nach oben, ohne jedoch die Öffnung, aus der er kommen mußte, zu erkennen.
»Wünschst du, daß ich dir helfe, den Destillanzug abzulegen?« fragte Harah.
»Nein ... vielen Dank.«
»Möchtest du etwas essen?«
»Ja.«
»Hinter dem nächsten Raum findest du eine
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