Dune 02: Der Herr des Wüstenplaneten
Zeitgenossen aus.
Muad'dib, als Paul Atreides Abkömmling einer alten Adelsfamilie, wurde von Kindheit an dem mehrstufigen Prana-Bindu-Training unterworfen, dessen Ziel absolute Beherrschung von Muskeln und Nerven ist. Damit nicht genug, war er ein Mentat, ein Intellekt, dessen systematisch ausgebildete Logik und Abstraktionsfähigkeit die Leistungen der in alter Zeit gebräuchlichen und später geächteten mechanischen Computer übertraf.
Vor allem aber war Muad'dib der Messias, den die Schwesternschaft der Bene Gesserit seit vielen Generationen gesucht und durch ihr Zuchtprogramm heranzuziehen versucht hatte.
Dieser Messias, dieser Prophet, dieser Mann, durch den die Bene Gesserit das Menschheitsschicksal zu beherrschen hofften – dieser Mann wurde Muad'dib, Begründer und Herrscher eines Reiches, Nachfolger des geschlagenen Kaisers Shaddam IV., mit dessen Tochter er eine Vernunftehe einging.
Es kann nicht überraschen, daß eine solche Konstruktion von Anfang an den Keim des Mißerfolgs in sich trug. Zu zahlreich und zu warnend sind die historischen Beispiele vergangener Zeitalter. Erstaunlich erscheint dem nüchternen Betrachter allenfalls die tiefe Naivität eines genialen Mannes, der, den seherischen Blick in die Zukunft gerichtet, die Lehren einer vieltausendjährigen Geschichte übersah und in seiner Eigenschaft als Reichsgründer mit fast zwanghaft anmutender Folgerichtigkeit die Fehler der alten feudalen Alleinherrscher wiederholte – bis hin zum unausweichlichen Ende. Seine hinreichend bekannten Siege und politischen Entscheidungen seien an dieser Stelle nur erwähnt, weil sie mit gespenstischer Deutlichkeit die Parallelität in den Entwicklungen feudaler Herrschaftssysteme aller Zeiten aufzeigen.
Seine Heere vernichteten das Kaiserreich Shaddams IV. Sie bezwangen nacheinander die Sardaukar-Legionen, die verbündeten Streitkräfte der Hohen Häuser und die mit dem Geld des Landsraads finanzierten Söldnerarmeen. Er zwang die Raumfahrergilde in die Knie und setzte seine Schwester Alia auf den religiösen Thron der Bene Gesserit, die sich so um ihren geistlichen Herrschaftsanspruch gebracht sahen.
Damit nicht genug, trugen Muad'dibs Missionare ihre Glaubensbotschaft in fast alle Gegenden des bewohnten Universums – gewöhnlich in der Form des Djihad, des Heiligen Krieges, dessen ursprüngliche Stoßkraft zwar nach zwölf Jahren erlahmte, der in dieser Zeit aber fast den gesamten menschlichen Siedlungsraum unter Muad'dibs Herrschaft brachte und ins Joch eines religiös eingefärbten Kolonialismus zwang.
Ein Umstand, der ihm alle diese Aktionen erleichterte, war, daß er mit dem Besitz des Planeten Arrakis das Monopol auf die höchste und wertvollste Münze des menschenbewohnten Kosmos hatte – das geriatrische Gewürz, Melange, das lebensverlängernde Gift.
Diese physisch und psychisch ungemein wirksame Substanz stellt in der Tat ein neues Element in der historischen Wirklichkeit des Menschen dar, dessen Bedeutung noch nicht abzusehen ist und das die hier untersuchte Epoche vielleicht noch entscheidender geprägt hat als die überragende Gestalt Muad'dibs. Ohne Melange waren die ehrwürdigen Mütter der Bene Gesserit unfähig, ihr geistig-körperliches Vollkommenheitsideal zu verwirklichen. Ohne Melange konnten die Steuerleute der Raumfahrergilde nicht navigieren. Ohne Melange wären Milliarden Bürger des Imperiums an Suchtmittelentzug gestorben.
Ohne Melange konnte Paul Muad'dib nicht prophezeien.
Es ist eine tragische Ironie, daß gerade dieses Mittel zu höchster persönlicher Macht den letztlichen Mißerfolg in sich trug: eine vollkommene und umfassende Zukunftssicht muß tödlich sein.
Andere Historiker vertreten die Auffassung, Muad'dibs Niederlage sei allein den systemimmanenten Palastintrigen und Verschwörungen entmachteter und revanchelüsterner Cliquen zuzuschreiben – der Gilde, der Schwesternschaft, den wissenschaftlichen Amoralisten der Bene Tleilax mit ihren Verwandlungskünsten. Sie beschreiben die priesterlichen Ränke des Lobredners Korba und anderer Mitglieder des Qizarats und verweisen auf die Pläne dieser Leute, Muad'dib zum Märtyrer zu machen und ihrer religiösen Bewegung so zu einer messianischen Gestalt von bleibender Ausstrahlung zu verhelfen.
Dies alles mag wahr sein, aber es genügt noch nicht zur Erklärung historischer Tatsachen. Nur wenn wir die tödliche Natur der prophetischen Gabe erkennen, können wir den vorzeitigen Zusammenbruch einer so gewaltigen
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