Dune 02,5 - Stürme des Wüstenplaneten
empfinde, ist sie so komplex, dass andere sie vielleicht nicht als solche erkennen. Obwohl ich das unumwunden zugebe, tue ich das nur auf diesen Seiten, die für mich allein bestimmt sind.
Aus den Privattagebüchern von Lady Alia,
absichtlich in einem Stil verfasst,
der den von Prinzessin Irulan imitiert
Als ein weiteres von Bronsos Manifesten nur wenige Tage vor der Hochzeit erschien, reagierte Alia schnell und erzürnt, indem sie die Vernichtung aller Exemplare anordnete. Sie verlangte, dass jeder, der bei der Verbreitung dieser Schriften erwischt wurde oder sie auch nur bei sich trug, ohne viel Federlesens hingerichtet werden sollte.
Zutiefst besorgt und in der Hoffnung, den Schaden zu begrenzen, beeilte sich Jessica, ein Treffen unter vier Augen mit ihrer Tochter anzuberaumen. »Ein derartiges Blutvergießen wird nach hinten losgehen. In zwei Tagen wirst du Duncan heiraten – willst du, dass das Volk dich hasst und fürchtet?«
Nachdem Alia ihre Empörung über die Situation zum Ausdruck gebracht hatte, gab sie nach. »Na schön, Mutter – und sei es nur, um dir einen Gefallen zu tun. Ich schätze, den Missetätern die Hand abzuhacken dürfte hart genug sein, damit jeder die Botschaft versteht.«
Ihre Mutter ging, obwohl sie nicht ganz zufrieden war.
Alia verbrachte den Rest des Tages im Thronsaal, bevor sie ihn durch einen bewachten Durchgang verließ und einen Fremen-Wandbehang beiseiteschob, wie sie es so oft bei ihrem Bruder gesehen hatte. Es war schwer zu glauben, dass er wirklich nicht mehr da war. In ihr rumorte ein Gefühl der Hilflosigkeit, das sie einfach nur wütend machte. Warum hatte er ihr ein solches Durcheinander hinterlassen? Erwartete Paul von ihr, dass sie als Mutter seiner Zwillingskinder fungierte? Oder konnte Harah das tun? Oder Prinzessin Irulan? Oder Jessica? Wie konnte der wichtigste Mann im bekannten Universum ihr einfach den Rücken zukehren und ... fortgehen?
Sie wünschte, ihr Bruder hätte in diesem Moment da sein können.
Ein schreckliches Gefühl der Trauer und Sehnsucht drohte sie zum Weinen zu bringen, doch Alia hatte bislang keine Tränen für ihn vergossen, und sie bezweifelte, dass sie es jemals tun würde, insbesondere auf dem Wüstenplaneten. Und doch hatte sie Paul zu Lebzeiten geliebt ... und im Tode liebte sie ihn vielleicht noch mehr.
Seine Gegenwart war wie ein Riesenstern, dessen Gravitationssog alles beeinflusste, was in seine Nähe kam. Paul leuchtete so hell, dass er alle anderen Einzelsterne und Konstellationen verblassen ließ. Der Imperator Muad'dib, der Fremen-Messias Lisan al-Gaib. Er hatte einen Imperator gestürzt, eine Galaxis erobert und einen Djihad benutzt, um das Gerümpel einer zehntausendjährigen Geschichte beiseitezuwischen.
Doch ohne seine charismatische Persönlichkeit, die über die täglichen Regierungsgeschäfte und die Atreides-Familie herrschte, sah Alia ihren Bruder langsam aus einer anderen Perspektive. Sie erhielt die Gelegenheit, ihn auf neue Arten kennenzulernen und zu respektieren.
Nachdem Chanis Wasser auf rätselhafte Weise gestohlen worden war – worauf dankenswerterweise keine Erpresserdrohungen eingegangen waren –, hatte sie Pauls Privatgemächer in der Zitadelle abgeriegelt und ließ niemanden mehr hinein. Alia ging gern allein dorthin, nur um nachzudenken und sich dabei vorzustellen, dass er noch da wäre.
Paul Muad'dib hatte ein bemerkenswertes Vermächtnis hinterlassen, und sie war als Regentin und als seine Schwester die Wahrerin dieses Vermächtnisses. Sie nahm diese Pflicht nicht auf die leichte Schulter. Mit der Zeit und unter den richtigen Umständen würde sie vielleicht eines Tages als gleichwertig mit Muad'dib in die Geschichte eingehen. Sie hatte bereits Chronisten beauftragt, Aufzeichnungen über ihre Errungenschaften zusammenzustellen, nur für den Fall.
Alia stand auf den Steinfliesen in der Tür zum Zimmer und roch die nachklingenden Gerüche der früheren Bewohner. Etwas leicht Abgestandenes lag in der Luft. Vor nicht allzu langer Zeit hatten Paul und Chani diese Gemächer mit ihren Persönlichkeiten erfüllt, mit ihren Träumen, Hoffnungen und geheimen Worten füreinander. Hier hatten sie sich geliebt und die Zwillinge Leto und Ghanima gezeugt.
Öl-Wandgemälde zeigten Szenen aus dem Alltagsleben der Fremen: eine Frau, die Wasserringe für ihr Haar zählte, Kinder, die draußen im Sand Sandforellen fingen, ein Naib, der in seiner Robe hoch oben auf einem Felsvorsprung stand. Alles war
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