Dune 02,5 - Stürme des Wüstenplaneten
in der Decke über Vernii und über die durchsichtigen Laufstege zu streifen, die die stalaktitartigen Bauten miteinander verbanden.
Sie erwachte aus unruhigem Schlaf in tiefster Finsternis und mit der Ahnung, dass etwas nicht stimmte. Als Tessia blinzelte, erkannte sie erschrocken, dass jemand neben ihr stand – ein Eindringling! Ihre an die Dunkelheit angepassten Pupillen weiteten sich, und sie öffnete den Mund, um Luft zu holen und einen Schrei auszustoßen.
Doch dann schlug ein Befehl, der mit der perfekten Präzision der Stimme geäußert wurde, wie eine Axt in ihren Geist. Eine weibliche Stimme. »Schweig!«
Tessias Kehlkopf versagte den Dienst. Selbst ihre Lungen wollten nicht mehr ausatmen. Als Bene Gesserit hatte man sie gelehrt, sich gegen die Stimme durchzusetzen, doch dieser mentale Angriff wurde von einer mächtigen Expertin durchgeführt, die Tessia genau eingeschätzt hatte und ihre Schwachpunkte kannte.
Dann erkannte sie allmählich die aufragende Gestalt der Ehrwürdigen Mutter Stokiah. Tessia kam sich wie ein Insekt vor, das mit einer langen Nadel auf eine Schautafel gespießt worden war. Sie hatte das intensive Bedürfnis zu schreien, aber sie hatte jede Kontrolle über ihre Muskeln verloren.
Stokiah beugte sich herab und sprach flüsternd. »Du hast dich der Illusion hingegeben, die freie Wahl zu haben. Steh auf! «
Tessias Körper schwang sich aus dem Bett wie eine Marionette. Ihre Beine streckten sich, und dann stand sie aufrecht vor der Ehrwürdigen Mutter.
»Die Regeln der Schwesternschaft setzen die Wünsche des Individuums außer Kraft. Das hast du von Anfang an gewusst. Du musst daran erinnert werden, welche Bedeutung, welche kleine Bedeutung du in der Welt hast ... in der Welt der Bene Gesserit .«
Tessia brachte ein Krächzen zustande und war selbst von ihrer Stärke überrascht. »Ich ... verweigere mich.«
»Du kannst dich nicht verweigern. Das habe ich bereits klargestellt.« Die Runzeln in Stokiahs Gesicht waren eine Landkarte aus schwarzen Rissen im Zwielicht. »Du hattest die ganze Zeit eine Aufgabe zu erfüllen, doch nun habe ich eine andere Verwendung für dich. Die Schwesternschaft kann es sich nicht erlauben, dass offener Widerstand folgenlos bleibt. Deshalb muss jeder sehen, dass du dich schuldig gemacht hast, und du musst es spüren. Du musst es wissen .« Ihre papiernen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Die Schwesternschaft hat eine neue Waffe entwickelt, eine Technik, die psychologische Grundlagen und Jongleurmethoden kombiniert. Ich bin eine der ersten und mächtigsten Schuldsprecherinnen der Bene Gesserit, und du wirst gehorchen.«
Schuldsprecherinnen ... Frauen, die in der Lage waren, Gedanken und Gefühle zu manipulieren, um die eigenen Zweifel und Gewissensbisse einer Person zu vergrößern und zu reflektieren wie ein Lasstrahl, der auf einen Spiegel traf. Tessia hatte sie bisher für ein Gerücht gehalten, mit dem die Proktoren ungezogenen Akoluthen Angst einjagen wollten.
»Du musst zutiefst bereuen, was du getan hast.« Stokiahs Stimme war glatt und giftig, ohne jedes Mitgefühl. »Du musst schreckliche Gewissensbisse empfinden.«
Tessia spürte die psychischen Wellen. Ihr Herz pochte heftig, und ihr Gewissen nahm ein spürbares Gewicht an. Sie konnte kaum noch atmen.
»Wie konntest du die Schwesternschaft verraten, nach allem, was wir für dich getan haben? Nach allem, was wir dich gelehrt haben?« Stokiahs heimtückischer Tonfall öffnete Fluttore der Erinnerungen und der Reue in Tessias Geist. »Wir gaben dir einen Auftrag, und nun lässt du uns im Stich.« Jedes Wort kratzte wie ein scharfer Stahlnagel über ihre Nerven. »Du hast uns den Rücken zugekehrt. Du hast uns enttäuscht. Doch das Schlimmste ist, dass du dich der Liebe hingegeben hast.«
Tessia wollte zurückweichen, wünschte sich verzweifelt, den Anschuldigungen aus dem Weg gehen zu können, aber sie war nicht in der Lage, sich zu rühren. Die Last erdrückte sie, ließ ihren Kopf schmerzhaft pochen, betäubte ihre Gedanken.
»Auch deinen Sohn hast du verraten. Weiß Bronso, dass Rhombur nicht sein wahrer Vater ist? Du hast dich mit dem Sperma eines anderen Mannes schwängern lassen, aus Liebe – und dennoch weigerst du dich, dasselbe für uns zu tun?«
Obwohl sich Stokiahs Stimme nicht änderte, hallten die Worte in Tessias Kopf mit zunehmender Lautstärke nach. Jeder Satz wurde zu einem Schrei. Sie schloss die Augen, erzitterte und versuchte, in eine Ecke zurückzuweichen.
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