Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
alle anderen lebenden Männer der Gegenwart. Die glänzende Narbe auf dem Kinn gab Gurney ein verwegenes Aussehen und ließ seine Häßlichkeit vergessen. Als er Stilgar entdeckte, legte sich ein Lächeln auf seine Züge.
»Gut gemacht, Stil«, sagte er und drückte nach alter Fremensitte den Arm des alten Kampfgefährten.
»Das Opfer«, sagte Jarvid und berührte Jessicas Hand.
Sie tat einen Schritt zurück und konzentrierte sich ganz auf die Macht ihrer Stimme, mit der sie speziell auf Jarvid und Zebataleph einen bestimmten Eindruck zu machen beabsichtigte. »Ich bin auf diesen Planeten gekommen, um meine Enkelkinder zu sehen. Läßt es sich wirklich nicht vermeiden, diesem religiösen Unfug beizuwohnen?«
Zebataleph reagierte mit einem Schock. Seine Kinnlade fiel nach unten. Er riß die Augen auf und starrte die Umstehenden an, denen diese Worte nicht entgangen sein konnten. Sein Blick tastete jeden einzelnen Menschen ab. Religiöser Unfug! Welchen Effekt konnten solche Worte hervorrufen, wenn sie aus dem Mund der Mutter ihres Messias kamen?
Jarvid allerdings bestätigte Jessicas Vorurteil. Seine Züge verhärteten sich zwar zunächst, aber dann begann er zu lächeln. Seine Augen lächelten allerdings nicht. Sie suchten auch nicht den Blick der übrigen Anwesenden. Und das mochte daran liegen, daß er jeden einzelnen Angehörigen von Alias Gefolgschaft genau kannte. Und somit wußte er, wem er von nun an mit besonderem Mißtrauen zu begegnen hatte. Es dauerte nur Sekunden, dann erstarb das Lächeln auf Jarvids Zügen abrupt, und Jessica wußte, er war sich plötzlich darüber klar geworden, daß man ihn hereingelegt hatte. Daß er der außergewöhnlichen Beobachtungsgabe der Lady Jessica nicht entgangen war, sagten ihm alle Sinne. Mit einem kurzen, unmerklichen Nicken gab er ihr zu verstehen, daß er ihre Kräfte anerkannte.
Im Bruchteil einer Sekunde wägte Jessica die Notwendigkeiten ab. Ein knappes Handzeichen zu Gurney würde dafür sorgen, daß Jarvid auf der Stelle das Leben verlor. Sie konnte es sofort tun, um einen abschreckenden Effekt zu erzielen, aber natürlich auch später – und es wie einen Unfall aussehen lassen.
Sie dachte: Wenn wir versuchen, unsere innersten Triebe zu verheimlichen, lehnt sich das Individuum mit aller Kraft dagegen auf. Und so war es auch diesmal. Die Bene-Gesserit-Ausbildung, die sie genossen hatte und sie befähigte, aus anderen Menschen herauszulesen, was von Wichtigkeit war, begehrte auf. Jarvids offensichtliche Intelligenz wog schwer dagegen. Die Argumente sprachen gleichzeitig für und gegen ihn. Wenn man diesen Mann gewinnen konnte, würde er ein wichtiges Verbindungsglied zur arrakisischen Priesterschaft sein. Und außerdem besaß er Alias Vertrauen.
Jessica sagte: »Meine offizielle Gefolgschaft sollte klein gehalten werden. Aber Platz für einen Mann haben wir noch. Jarvid, Sie werden mit uns gehen. Zebataleph – es tut mir leid für Sie. Und Jarvid, ich werde an dieser Zeremonie teilnehmen, wenn Sie darauf bestehen.«
Jarvid atmete auf und sagte mit leiser Stimme: »Wie die Mutter des Muad'dib befiehlt.« Er schaute Alia an, dann Zebataleph und fuhr, Jessica zugewandt, fort: »Es schmerzt mich, das Zusammentreffen mit Ihren Enkelkindern zu verzögern, aber da sind nun mal die ... äh ... Verpflichtungen, die der Staat einem auferlegt ...«
Jessica dachte: Gut. In erster Linie ist er also doch ein Geschäftsmann. Wenn wir einigermaßen Fuß gefaßt haben, werden wir diesen Mann kaufen. Und irgendwie belustigte es sie, daß er auf der vorbereiteten Zeremonie bestand. Dieser kleine Sieg würde seine Position unter seinesgleichen stärken, das wußten sie beide. Daß sie das Opfer annahm, verpflichtete ihn schon jetzt zu einer späteren Gegenleistung.
»Ich nehme an, daß Sie die Transportfrage längst geklärt haben«, meinte Jessica.
6
Ich gebe euch das Wüstenchamäleon, dessen Fähigkeit, sich dem Hintergrund anzupassen, euch alles über die Wurzeln der Ökologie und das Fundament persönlicher Identitätsfindung sagt, was ihr wissen müßt.
Aus den Hayt-Chroniken
Leto spielte auf dem kleinen Baliset, das ihm Gurney Halleck, einer der wenigen wirklichen meisterhaften Beherrscher dieses Instruments, zu seinem fünften Geburtstag hatte schicken lassen. In den vier Jahren, die Leto es besaß, hatte er einigermaßen flüssiges Spielen gelernt, wenngleich ihm die beiden Baßseiten immer noch einige Schwierigkeiten bereiteten. Dennoch war er der
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