Dune 03: Die Kinder des Wüstenplaneten
und es mithin Mut erforderte, in seiner Nähe zu weilen. Sie beugte sich näher an den ixianischen Lautsprecher heran, der sich in unmittelbarer Nähe des Sehschlitzes befand. Das Murmeln der auf dem Vorplatz versammelten Menschen drang auf sie ein. Sie konnte das Wehen des Windes und das Scharren von Füßen vernehmen.
»Ich bringe euch vier Botschaften!« begann der Prediger.
Seine Stimme kam so laut über den Lautsprecher, daß Alia sich gezwungen sah, ihn etwas zurückzudrehen.
»Jede Botschaft betrifft eine bestimmte Person«, fuhr der Prediger fort. »Die erste ist für Alia bestimmt, der obersten Lehnsherrin dieses Platzes.« Er deutete hinter sich, genau in die Richtung, in der sich der Sehschlitz befand. »Ich überbringe ihr eine Warnung: Du, die du das Geheimnis der Dauerhaftigkeit in deinen Lenden trägst, hast deine Zukunft für einen leeren Beutel verkauft!«
Wie kann er es wagen? dachte Alia. Seine Worte brachten sie zum Frösteln.
»Die zweite Botschaft«, sagte der Prediger, »ist an Stilgar, den Naib der Fremen, gerichtet, der glaubt, er könne die Kraft seiner Stämme auf das Imperium übertragen. Meine Warnung an dich, Stilgar, lautet: Die gefährlichste aller Schöpfungen ist eine starre Lebensauffassung. Im Endeffekt wird sie sich gegen dich wenden und dich in die Verbannung treiben!«
Jetzt ist er zu weit gegangen! dachte Alia. Ich muß die Wache auf ihn hetzen, egal welche Konsequenzen das nach sich zieht. Dennoch blieben ihre Hände unbeweglich.
Der Prediger wandte sein Gesicht dem Tempel zu, nahm eine weitere Stufe und wirbelte sofort wieder herum, um die unter ihm stehenden Zuhörer im Blickfeld zu behalten. Keine Sekunde lang unterbrach er dabei den körperlichen Kontakt mit seinem Führer. Dann rief er laut: »Meine dritte Botschaft ist gerichtet an Prinzessin Irulan. Prinzessin! Erniedrigung ist eine Schmach, die kein Mensch je verwinden kann. Ich rate dir: Fliehe!«
Was sagt er da? fragte sich Alia. Auch wenn wir Irulan erniedrigten ... Warum rät er ihr zu fliehen? Meine Entscheidung war längst getroffen.
»Meine vierte Botschaft«, sagte der Prediger, »richtet sich an Duncan Idaho. Duncan! Man hat dir beigebracht, zu glauben, daß man Loyalität am sichersten mit Loyalität erreicht. Oh, Duncan – du solltest nicht an die Historie glauben, weil sie nichts als die Triebkraft dessen ist, was man mit Geld erkaufen kann. Duncan! Nimm deine Hörner auf und tu das, was du am besten zu tun weißt.«
Alia biß entsetzt in die Innenkante ihrer rechten Hand. Hörner! Sie war drauf und dran, die Hand auszustrecken und den Knopf zu aktivieren, der die Wachen auf den Plan rufen würde – aber noch immer hielt sie etwas von diesem Schritt zurück.
»Und jetzt zu euch«, fuhr der Prediger fort. »Ich bringe euch eine Predigt der Wüste, die ich hauptsächlich den Ohren der Priesterschaft Muad'dibs anempfehle – jenen Leuten, die den Glauben mit dem Schwert in der Hand verbreiten. Oh, ihr Gläubigen der offensichtlichen Göttlichkeit! Wißt ihr nicht, daß auch sie über eine dämonische Kehrseite verfügt? Ihr ruft aus, stolz darauf zu sein, in jenem strahlenden Zeitalter zu leben, das Muad'dib hervorgebracht hat. Ich aber sage euch: Ihr habt ihn längst verraten. Aus der Liebe, die seine Religion war, habt ihr die Heiligkeit gemacht. Und damit ruft ihr die Strafe der Wüste auf euch herab!« Er senkte den Kopf, als sei er plötzlich in ein stilles Gebet versunken.
Alia zitterte in plötzlicher Erregung. Götter der Finsternis – diese Stimme! Die langen Jahre des Daseins unter den sengenden Strahlen der Sonne mochten sie gebrochen haben – aber es war immer noch etwas in ihr, das unmißverständlich auf Paul hinwies.
Der Prediger hob den Kopf, und dann hallten seine Worte mit einer solchen Kraft über den Tempelvorplatz, daß aus allen Richtungen immer mehr Leute zusammenströmten, die einen Blick auf dieses Relikt der Vergangenheit des Wüstenplaneten werfen wollten.
»Es steht geschrieben«, donnerte er, »daß jene, die am Rande der Wüste um Tau bitten, die Sintflut hervorrufen werden! Sie werden ihrem vorbestimmten Schicksal nicht entgehen – dafür wird die Kraft der Vernunft sorgen.« Er senkte die Stimme und fuhr fort: »Man sagt über Muad'dib, daß er an der Kraft seiner Sehergabe zugrunde ging, daß sie ihn in den Tod trieb, daß ihn das Wissen um die Zukunft tötete und er aus dem realen Universum in das Alam al-Mithal hinüberwechselte. Ich aber sage euch: dies
Weitere Kostenlose Bücher