Dune 04: Der Gottkaiser des Wüstenplaneten
kriecht sie auch nur.«
Während des Wortwechsels hatte Leto heimlich die indirekte Beleuchtung seines Horstes heruntergeschaltet. Sein Wagen bewegte sich näher und näher auf Siona zu. Dann schaltete er die Lichter ganz aus. Der Mondenschein genügte. Das Vorderteil seines Wagens schob sich auf den Balkon; Letos Gesicht war nur noch zwei Meter von Siona entfernt.
»Mein Vater sagt«, meinte Siona, »daß die Zeit, je älter man wird, immer langsamer vergeht. Hast du ihm das erzählt?«
Sie prüft meine Ehrlichkeit, dachte Leto. Also ist sie keine Wahrsagerin.
»Alle Dinge sind relativ, aber verglichen mit dem menschlichen Zeitempfinden ist dies wahr.«
»Warum?«
»Das hängt mit dem zusammen, was aus mir werden wird. Am Ende wird die Zeit für mich stehenbleiben, und ich werde einfrieren wie eine im Eis gefangene Perle. Meine neuen Körper werden sich verstreuen, und in jedem wird eine Perle versteckt sein.«
Siona drehte sich um, wandte den Blick von ihm ab, schaute in die Wüste hinaus und sagte, ohne ihn anzusehen: »Wenn ich so mit dir hier in der Dunkelheit rede, vergesse ich beinahe, was du bist.«
»Deswegen habe ich unsere Begegnung auch auf diese Stunde gelegt.«
»Aber warum an diesen Ort?«
»Weil es der letzte ist, an dem ich mich zu Hause fühlen kann.«
Siona wandte sich dem Geländer zu, stützte sich darauf ab und sah ihn an. »Ich möchte dich sehen.«
Leto schaltete sämtliche Lichtquellen seines Horstes ein und nahm nicht einmal die hartleuchtenden, weißen Globen aus, die am äußersten Dachrand des Balkons befestigt waren. Als es hell wurde, glitt eine transparente Maske ixianischen Fabrikats aus den Mauervertiefungen und schirmte den Balkon hinter Siona völlig ab. Sie nahm zwar mit einiger Überraschung die hinter ihr erfolgende Bewegung zur Kenntnis, nickte aber, als würde sie verstehen. Sie glaubte, der Schirm diene zur Abwehr eines Angriffs, aber das stimmte nicht. Er hielt lediglich die feuchten Nachtinsekten zurück.
Siona starrte Leto an. Ihr Blick huschte über seinen Körper und verharrte auf den Stummeln, die einst seine Beine gewesen waren. Schließlich musterte sie interessiert seine Arme und Hände und dann sein Gesicht.
»Die von dir genehmigten Geschichtsbücher behaupten, daß sämtliche Atreides von dir und deiner Schwester Ghanima abstammen«, sagte sie. »Und die mündlichen Überlieferungen bestreiten das.«
»Die mündlichen Überlieferungen sagen die Wahrheit. Euer Vorfahr war Harq al-Ada. Ghani und ich waren lediglich pro forma verheiratet. Es geschah zum Ausbau der Macht.«
»Wie deine Heirat mit der Ixianerin?«
»Das ist etwas anderes.«
»Werdet ihr Kinder haben?«
»Ich bin nie fähig gewesen, Kinder zu zeugen. Bevor die Möglichkeit dazu bestand, hatte ich die Metamorphose bereits hinter mir.«
»Dann warst du also ein Kind – und dann sofort ...« – sie deutete auf seinen Leib – »das?«
»Dazwischen war nichts.«
»Wie kann ein Kind wissen, was richtig ist?«
»Ich war eines der ältesten Kinder, die je im Universum existiert haben. Das andere war Ghani.«
»Was ist mit der Geschichte über dein rassisches Erinnerungsvermögen?«
»Sie stimmt. Wir sind alle hier. Sagen das nicht auch die mündlichen Überlieferungen?«
Siona wirbelte herum und präsentierte ihm ihren verkrampften Rücken. Erneut stellte Leto fest, daß ihn diese durch und durch menschliche Geste faszinierte: Ablehnung gepaart mit Verwundbarkeit. Plötzlich drehte sie sich wieder um. Ihr Blick konzentrierte sich auf sein von Hautfalten umringtes Gesicht.
»Du schaust wie jemand aus unserer Familie«, sagte sie.
»Und ich bin auf die gleiche ehrliche Weise an diesen Blick gekommen wie du.«
»Du bist so alt ... Warum hast du keine Falten?«
»Die menschlichen Teile meines Körpers altern nicht auf normale Weise.«
»Hast du es deshalb getan?«
»Um mich eines langen Lebens zu versichern? Nein.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand eine solche Wahl treffen kann«, murmelte Siona. Und dann, etwas lauter: »Nie die Liebe kennenzulernen ...«
»Sei doch nicht närrisch!« sagte Leto. »Du sprichst nicht von der Liebe, sondern vom Sex!«
Sie zuckte die Achseln.
»Glaubst du, der Sex sei für mich am schwersten aufzugeben gewesen? Nein, der größte Verlust war für mich etwas ganz anderes.«
»Was?« Sie stellte diese Frage zögernd und zeigte damit an, wie tief er sie gerührt hatte.
»Ich kann mich nicht zwischen meinen Freunden bewegen, ohne stets
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