Dune - Frühe Chroniken 01 - Das Haus Atreides
Schwesternschaft hatte sie andere Nachkommen zur Welt gebracht, aber nur zwei davon wiesen eine so gefährliche Genkombination auf.
Zwei. Aber es durfte nur eins geben. Andernfalls war das Risiko viel zu groß.
Dieses schwache Baby war in keiner Weise mit dem großen Plan zu vereinbaren. Die Schwesternschaft hatte es bereits abgeschrieben. Vielleicht konnte sich das Kind eines Tages als Dienerin oder Köchin in der Mütterschule nützlich machen, aber es würde niemals eine bedeutende Stellung einnehmen. Anirul sah nur noch selten nach dem enttäuschenden Ergebnis des ersten Versuches, und auch sonst kümmert sich kaum jemand darum.
Mir bist du nicht gleichgültig, dachte Mohiam, um sich sogleich für diese Gefühlsanwandlung zu tadeln. Schwierige Entscheidungen standen an, ein großes Opfer musste gebracht werden. Wie eine eiskalte Welle schwappte noch einmal die Erinnerung an die Alptraumvision durch ihren Geist und stärkte sie in ihrer Entschlossenheit.
Sie beugte sich über das Kind und massierte ihm sanft das Genick und die Schläfen ... bis sie sich zurückzog. Eine Bene Gesserit verspürte oder zeigte niemals Liebe – weder romantische noch familiäre Zuneigung. Emotionen galten als gefährlich und unschicklich.
Mohiam schob es auf die chemischen Veränderungen ihres schwangeren Körpers und versuchte sie zu verstehen, sie mit dem zu vereinbaren, was sie im Laufe ihres Lebens gelernt hatte. Wenn sie dieses Kind nicht liebte ... weil es verboten war ... dann konnte sie doch ... Sie schluckte und sah sich außerstande, den schrecklichen Gedanken in Worte zu fassen. Und wenn sie dieses Baby doch liebte – gegen alle Gebote –, dann musste sie erst recht tun, was sie zu tun beabsichtigte.
Eliminiere die Versuchung.
Empfand sie Liebe oder nur Mitleid für das Kind? Diese Überlegungen wollte sie keiner ihrer Schwestern anvertrauen. Sie schämte sich für das, was sie empfand, aber nicht für das, was sie tun wollte.
Handle schnell. Bring es hinter dich.
Die Zukunft verlangte, dass Mohiam die Tat ausführte. Wenn sie nicht handelte, die düstere Warnung der Vision ignorierte, würden ganze Planeten sterben. Ihre neue Tochter hatte eine immens wichtige Bestimmung, und damit sie diese Bestimmung erfüllen konnte, musste die andere Tochter geopfert werden.
Doch Mohiam zögerte immer noch, als würde ihr mütterlicher Instinkt protestieren und sie an der Ausführung dessen hindern, wozu sie durch ihre Vision getrieben wurde.
Sie streichelte die Kehle des Kindes. Warme Haut ... langsamer und regelmäßiger Atem. Im schwachen Licht konnte Mohiam die missgestalteten Gesichtsknochen und die verwachsene Schulter nicht erkennen. Die Haut war blass ... das Baby wirkte so schwach. Es regte sich und wimmerte.
Mohiam spürte den heißen Atem ihrer Tochter am Handrücken. Die Ehrwürdige Mutter riss sich zusammen und bemühte sich um Selbstbeherrschung, während sie flüsterte: »Ich darf mich nicht fürchten. Die Furcht tötet das Bewusstsein ...« Aber sie zitterte trotzdem.
Sie hatte ein weiteres Kom-Auge entdeckt, dessen rotes Licht durch die Dunkelheit des Säuglingssaals stach. Sie schob ihren Körper zwischen das Kom-Auge und das Kind und kehrte den Wächterinnen den Rücken zu. Sie sah in die Zukunft, nicht auf das, was sie tat. Selbst eine Ehrwürdige Mutter hatte manchmal ein Gewissen ...
Mohiam tat, was der Traum ihr befohlen hatte, und drückte ein kleines Kissen auf das Gesicht des Kindes, bis jedes Geräusch und jede Bewegung erstorben waren.
Danach zitterte sie immer noch, als sie das Bettzeug wieder in Ordnung brachte, den Kopf des toten Kindes auf das Kissen legte und die winzigen Arme und die deformierte Schulter zudeckte. Plötzlich fühlte sie sich sehr, sehr alt. Viel älter, als sie an Jahren zählte.
Es ist getan. Mohiam legte ihre rechte Hand auf den geschwollenen Bauch. Jetzt darfst du uns nicht auch noch enttäuschen, Tochter.
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Der Herrschende übernimmt eine unwiderrufliche Verantwortung für die Beherrschten. Man wird zum Vater. Das erfordert gelegentlich selbstlose Taten der Liebe, die nur für die Beherrschten amüsant sein mögen.
Herzog Paulus Atreides
In der prächtigen, für das Haus Atreides reservierten Loge über der Plaza de Toros entschied sich Leto für einen grün gepolsterten Stuhl an der Seite von Rhombur und Kailea. Lady Helena Atreides, die nicht viel von solchen öffentlichen Zurschaustellungen hielt, ließ sich mit dem Erscheinen Zeit. Zu dieser
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