Dune - Frühe Chroniken 01 - Das Haus Atreides
Junge nicht noch mehr Blut verloren hatte. Ohne medizinische Betreuung wäre er nach wenigen Minuten gestorben. Trotzdem konnte Kynes es nicht fassen, dass der Junge überhaupt so lange überlebt hatte. Das Blut dieses Fremen gerinnt mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit. Ein weiteres Detail für seine Faktensammlung – vielleicht eine Anpassung zur Verringerung des Feuchtigkeitsverlusts in der knochentrockenen Wüste.
»Iieeah!«
»Nein!«
Kynes blickte sich zu den Schreien des Schmerzes und Entsetzens um. Die Fremen hatten den noch lebenden Harkonnen überwältigt und holten ihm mit den Messerspitzen die Augäpfel aus den Höhlen. Dann begannen sie damit, ihn abzuhäuten. Sie zogen ihm rosafarbene Streifen vom Körper, die sie in kleinen Taschen an den Hüften verstauten.
Blutbesudelt und keuchend stand Kynes auf. Als er sah, wie brutal sie sich verhielten, nachdem sich das Blatt gewendet hatte, fragte er sich plötzlich, ob er richtig gehandelt hatte. Diese Fremen waren wie wilde Tiere und hatten sich in einen Blutrausch hineingesteigert. Würden sie nun versuchen, ihn zu töten, obwohl er ihnen geholfen hatte? Für diese verzweifelten jungen Männer war er ein Fremder.
Er beobachtete und wartete, bis die Jugendlichen ihre grausige Tortur beendet hatten. Dann blickte er ihnen in die Augen, räusperte sich und sprach sie auf Galach an: »Mein Name ist Pardot Kynes. Ich bin der für Arrakis zuständige Kaiserliche Planetologe.«
Er blickte auf seine blutverschmierte Haut und beschloss, ihnen nicht zum Gruß die Hand entgegenzustrecken. Diese Geste mochte ein kulturelles Missverständnis heraufbeschwören. »Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich wollte die Fremen ohnehin näher kennen lernen.«
19
Die Angst vor einem Feind, den man bewundert, ist größer.
Thufir Hawat, Mentat und Sicherheitsbeauftragter des Hauses Atreides
Im Schutz der dichten Kiefern kauerte Duncan Idaho in den weichen Nadeln, die den Boden bedeckten, und fror trotzdem. Die kühle Nachtluft betäubte den harzigen Koniferenduft, aber hier war er zumindest vor dem eiskalten Wind abgeschirmt. Er hatte sich weit genug von der Höhle entfernt, um sich eine Weile ausruhen zu können und wieder zu Atem zu kommen. Nur für einen Augenblick.
Er wusste jedoch, dass sich die Harkonnen-Jäger keine Ruhepause gönnen würden. Dass er einen aus ihrer Gruppe getötet hatte, konnte ihre Entschlossenheit nur angestachelt haben. Vielleicht, dachte er, macht ihnen die Jagd jetzt sogar noch mehr Spaß. Vor allem Rabban.
Duncan öffnete das Medpak, das er dem getöteten Verfolger abgenommen hatte, und zog ein Paket mit Hautbildungssalbe heraus, die er auf den Einschnitt in seiner Schulter auftrug, wo sie sofort zu einem organischen Verband aushärtete. Dann schlang er den Nahrungsriegel hinunter und steckte sich das Packpapier in die Hosentasche.
Darauf untersuchte er die Lasgun im Schein seiner Handlampe. Er hatte noch nie zuvor eine solche Waffe benutzt, aber er hatte die Wächter und Jäger bei der Handhabung beobachtet. Er nahm die Lasgun in die Arme und betastete die Mechanismen und Kontrollen. Er richtete den Lauf nach oben und versuchte zu verstehen, was er tun musste. Er musste lernen, damit umzugehen, wenn er sie im Kampf einsetzen wollte.
Plötzlich schoss ein weißglühender Energiestrahl durch die Äste der Kiefern in den Himmel. Holz und Nadeln gingen knisternd in Flammen auf. Glimmende Klumpen aus immergrünen Nadeln regneten ringsum zu Boden, wie rotglühende Schneeflocken.
Mit einem Schrei ließ er die Waffe fallen und sprang zurück. Doch er hob sie sofort wieder auf, bevor er vergessen konnte, in welcher Kombination er auf die Knöpfe gedrückt hatte. Er musste sich alles genau einprägen.
Die Flammen in den Baumkronen waren ein helles Leuchtfeuer, von dem dunkler Rauch aufstieg. Da er jetzt nichts mehr zu verlieren hatte, schoss Duncan noch einmal, aber gezielt, um sicherzugehen, dass er die Lasgun zu seiner Verteidigung einsetzen konnte. Die klobige Waffe war nicht für die Hände eines kleinen Jungen gebaut, vor allem nicht, wenn ihm gleichzeitig Schulter und Rippen schmerzten, aber er konnte damit umgehen. Ihm blieb nichts anderes übrig.
Da er wusste, dass die Harkonnens unverzüglich zum Brandherd eilen würden, verließ Duncan den hinfällig gewordenen Schutz der Bäume, um nach einem neuen Versteck zu suchen. Wieder versuchte er, auf höherem Terrain zu bleiben, damit er die verstreuten
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