Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
müssen, Jans Angriff abzuwehren oder ihn kurzerhand niederzuschlagen. Erstaunlicherweise aber riß er mit einem eindeutig angsterfüllten Laut die Arme vor das Gesicht und machte einen unbeholfen wirkenden Schritt zurück. Jans Waffe verfehlte seine Brust um Haaresbreite, aber er sah auch die tiefe, bis auf den Knochen reichende Wunde, die er ihm mit seinem ersten Angriff zugefügt hatte. Der zerrissene Stoff der Jacke darüber schwelte tatsächlich, und das Blut, das in Strömen aus dem Schnitt quoll, schien zu kochen.
Jan verschwendete keinen Gedanken daran, sondern setzte dem Kerl nach. Er hatte ihn verletzt, und er war fest entschlossen, ihn weiter zu verletzen. Zu töten, wenn er es konnte.
Sein nächster Hieb erwischte den Dunklen an der Brust. Seine Waffe zerschnitt die Kleidung des Unheimlichen, aber er spürte selbst, daß das Metall seine Haut nur flüchtig streifte. Trotzdem klaffte sein Fleisch auseinander, und dunkles, dampfendes Blut sprudelte regelrecht hervor und besudelte Jans Gesicht und Hände.
Der Unheimliche schrie gellend und noch lauter, taumeltezurück und … riß dabei Katrin um, die in der Tür stand. Ihr Blick spiegelte vollkommenes Unverständnis. »Was –?«
»Lauf weg!« schrie Jan. »Lauf!«
Katrin starrte ihn nur verständnislos an. Ihre Bewegungen waren langsam; unendlich langsam, wie es Jan erschien. Sie mußte doch längst schon mitbekommen haben, was sich hier abspielte. Wie lange hatte der Kampf schon gedauert? War es das Adrenalin, das durch Jans Adern jagte, oder bewegten der Dunkle und er sich in einer anderen, schnelleren Zeit?
Der Dunkle nützte den Sekundenbruchteil, den Jan abgelenkt war, um ihm einen Stoß vor die Brust zu versetzen und an ihm vorbeizustürmen. Jan taumelte zwei, drei Schritte weit zurück, fiel über einen Sessel und rappelte sich hastig wieder hoch. Der Unheimliche riß die Wohnungstür auf. Es ging alles unvorstellbar schnell.
Jan stürzte hinter ihm her. Er durfte ihn nicht entkommen lassen!
Er hatte den Dunklen besiegt, aber nicht, weil er stärker oder schneller war als er, sondern einzig und allein, weil er ihn überrascht hatte. Wenn er ihn entkommen ließ, dann würde der Dunkle wiederkehren, und das nächste Mal würde er wahrscheinlich nicht mehr den Fehler machen, mit ihm zu spielen und ihm damit eine Chance zu geben.
Der Hausflur war menschenleer. Der Dunkle war bereits verschwunden.
Aber er hatte eine Spur hinterlassen: Eine unregelmäßige Fährte dunkler, dampfender Tropfen, die in einem wankenden Zickzack zur Treppe führte. Der Kerl blutete, und das nicht zu knapp.
Jan rannte hinterher. Während er, immer zwei oder drei Stufen auf einmal überspringend, die Treppe hinunterpolterte, lauschte er auf das Geräusch der Haustür unten, hörte aber nichts. Der Dunkle war noch im Haus.
Die Blutspur leitete Jan. Die Anzahl der Tropfen schien abzunehmen, aber vielleicht hatte der Unheimliche auch nur sein Tempo gesteigert. Jan war sich darüber im klaren, daß er keine Chancen hatte, ihn einzuholen. Doch die Konzentration des Adrenalins, oder was immer es war, das ihn beflügelt hatte, ließ jetzt rasch nach, und seine Beine wurden schwerer. Trotzdem gab er nicht auf. Er würde ihn kriegen, entweder hier im Haus oder draußen auf der Straße. Mit dieser Verletzung konnte der Kerl nicht weit kommen. Zumindest nicht, ohne Aufsehen zu erregen.
Er erreichte das Erdgeschoß, wandte sich zur Tür – und blieb stehen.
Der Dunkle hatte das Haus nicht verlassen. Die Blutspur war hier unten wieder deutlicher, als wäre er einen Moment lang stehengeblieben, um sich zu orientieren, und sie führte nicht zum Ausgang, sondern in die andere Richtung. Er war weiter nach unten gelaufen. In den Keller.
Und das bedeutete nichts anderes, als daß er in der Falle saß. Der Keller hatte keinen zweiten Ausgang.
Jan ging zur Treppe, blieb aber auf der obersten Stufe wieder stehen. Sein Herz raste, und sein Atem ging noch immer so schnell, daß die Luft in seine Kehle schnitt. Aber mit der rationalen Überlegung kehrte auch seine Angst zurück – ein verzweifeltes Signal seines Selbsterhaltungstriebs, der ihm auf diese Weise klarmachte, daß er dabei war, sein Leben aufs Spiel zu setzen.
Jan betrachtete unschlüssig das Messer, das er noch immer in seiner Rechten hielt. Es war ein schweres, aber trotzdem ganz normales Buttermesser, dessen Schneide keinen Schliff hatte. Keine Waffe, sondern etwas, mit dem man allenfalls ein Stück Käse schneiden
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