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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Angreifers zu entdecken – mit diesem Spielzeug war es so gut wie ausgeschlossen.
    Aber was hatte er zu verlieren?
    Er machte einen Ausdruck des Fotos, das den Jungen zeigte, dann programmierte er den Rechner so, daß er das gleiche Kunststückchen auch mit den verbliebenen sieben Aufnahmen vollführte. Man konnte ja nie wissen. Danach ging er zu Bett.
    Er schlief ein, noch bevor er die Bettdecke ganz hochgezogen hatte, und entgegen seiner eigenen Erwartung träumte er nicht einmal.

W as Jan weckte, das war kein Lärm, sondern die plötzliche Abwesenheit jeglicher Geräusche.
    Im allerersten Moment hatte er geglaubt, daß Katrin ihre Entrümpelungsaktion fortgesetzt und ihn damit aus dem Schlaf gerissen hatte, bis ihm klar wurde, daß das genaue Gegenteil der Fall war: Bis vor ein paar Sekunden hatte in der Wohnung der übliche Lärmpegel geherrscht, den er erwartete – Katrin hatte seinen verschobenen Tagesrhythmus, meist bis spät in die Nacht hinein zu arbeiten und dafür selten vor dem Mittagessen aufzustehen, zwar akzeptiert, aber sie hatte niemals besondere Rücksicht darauf genommen. Jetzt schien sie es zu tun, denn in der Wohnung herrschte eine ungewohnte, fast vollkommene Stille.
    Durch die Ereignisse der letzten Tage sensibilisiert, setzte sich Jan mit einem Ruck im Bett auf und spürte, wie die Müdigkeit fast genau so schnell von ihm abfiel, wie die Bettdecke von seinen Beinen rutschte. Er hörte immer noch nichts. Die Schlafzimmertür war geschlossen – so viel Rücksicht ließ Katrin immerhin walten –, aber das bedeutete nicht viel. Die Türen in dieser Wohnung waren ungefähr so schalldicht wie ein Stück nasses Löschpapier.
    Er stand auf, bückte sich nach Hose und Pullover undschlüpfte in seine Schuhe, ehe er praktisch auf Zehenspitzen zur Tür schlich und das Ohr dagegen preßte. Er hörte immer noch nichts. Auf der anderen Seite der Tür herrschte buchstäblich Totenstille.
    Jan drückte die Klinke herunter, öffnete die Tür einen Spaltbreit und kam sich im nächsten Moment ziemlich dämlich vor. Katrin lag weder sterbend am Boden, noch hatte sie sich hinter die Couch geduckt, um sich vor einem etwaigen Eindringling zu verstecken. Sie saß im Lotossitz auf dem Teppich, hatte die Unterarme auf die Knie gelegt und den Oberkörper kerzengerade aufgerichtet. Sie betrieb Yoga nicht professionell; nicht einmal besonders regelmäßig, sondern Jans Meinung nach gerade oft genug, um damit keine Wirkung zu erzielen, als sich zum Narren zu machen. Im Moment griffen sie eben beide nach jedem Strohhalm, um sich irgendwie zu beruhigen.
    Jan drückte die Tür lautlos wieder ins Schloß, ging zum Bett zurück und setzte sich, um nach seinen Socken zu greifen, und im gleichen Sekundenbruchteil zertrümmerte etwas das Fenster und rauschte so dicht über seinen gebeugten Kopf hinweg, daß er den Luftzug spüren konnte.
    Es ging rasend schnell. Alles spielte sich im Bruchteil einer einzigen Sekunde ab, und Jan begriff nicht wirklich, was passierte. Er hatte nur einen flüchtigen Eindruck von Chaos, Lärm und Bewegung und einem ungeheuerlichen, wirbelnden Schatten, der in einem Regen aus Glasscherben und zerberstendem Holz hereinbrach und so kalt war wie die Hölle. Er berührte ihn nicht einmal wirklich, aber schon seine bloße Nähe reichte, um Jan mit einem erstickten Schrei vom Bett und in die Glasscherben zu schleudern, die rings um ihn zu Boden regneten.
    Er spürte einen scharfen Schmerz in beiden Händen, als er sich die Haut an den rasiermesserscharfen Klingen aus Glaszerschnitt, und einen sehr viel heftigeren am rechten Knie. Der Schmerz war irrelevant; schlimm, aber auf einer Ebene seines Denkens, die sein bewußtes Handeln im Moment nicht beeinflußte. Mit einer Bewegung, die vielleicht die schnellste seines Lebens war, stieß er sich wieder in die Höhe und sah etwas wie eine Bugwelle aus Dunkelheit und purer Bewegung über das zerwühlte Bett rasen: Glasscherben und Splitter wurden beiseite gewirbelt, das Federbett eingedrückt, als wälze sich etwas Unsichtbares, Großes darüber.
    Jan verfolgte die Linie, welche die rasende Bewegung nahm, mit Blicken bis zu ihrem Ende – und erstarrte. Er verbrachte zwei Sekunden damit, wie paralysiert dazuhocken, sich mit seinen blutenden Händen auf dem Bett abzustützen und gebannt in den zweitürigen Spiegelschrank auf der anderen Seite des Zimmers zu starren. Das Ding, das mit brutaler Kraft durch das Fenster hereingebrochen war, mochte unsichtbar sein,

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