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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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konnte. Trotzdem war die Klinge dunkel vom Blut des Unheimlichen.
    Der richtige Winkel, pures Glück und die schiere Kraft derVerzweiflung. Selbst mit einem richtigen Messer wäre es der reine Selbstmord, dem Kerl dort hinunter zu folgen. Er war ihm nicht gewachsen.
    Aber er durfte ihn auch nicht entkommen lassen. Ihn zu verfolgen war gefährlich. Ihn entwischen zu lassen wäre wahrscheinlich tödlich. Außerdem war der Kerl verletzt, schwer verletzt sogar. Vielleicht fand er ja nur noch einen sterbenden Mann da unten im Keller.
    Jan war sich natürlich darüber im klaren, daß das alles nur vorgeschobene Argumente waren, mit denen er sich selbst zu beruhigen versuchte; seine Art zu pfeifen, wenn er in den dunklen Keller mußte. Trotzdem ging er langsam, Schritt für Schritt, weiter nach unten, die rechte Hand mit dem blutigen Messer weit nach vorne gestreckt und alle seine Sinne angespannt. Er war sich nicht sicher, ob er den Dunklen wirklich stellen wollte. Vielleicht reichte es einfach, seine Spur nicht zu verlieren. Vorhin, oben in der Wohnung, hätte er ihn, ohne zu zögern, getötet, aber das war etwas anderes gewesen. Er hatte um sein und Katrins Leben gekämpft. Jetzt … er wußte nicht einmal, ob er ihn noch töten könnte, selbst wenn er die Gelegenheit dazu bekam.
    Die Blutspur leitete ihn zuverlässig weiter. Er ging bis zum Ende des Flures. Die metallene Feuerschutztür, vor der der Gang endete, war normalerweise abgeschlossen. Jeder Mieter besaß einen Schlüssel, und nicht abzuschließen war ein Sakrileg, das die Hausgemeinschaft mit wochenlanger offenkundiger Mißbilligung ahndete. Die Tür war auch heute abgeschlossen gewesen, aber jemand hatte sie geöffnet – ohne einen Schlüssel zu benutzen.
    Jan starrte den verbogenen Türrahmen zwei oder drei Sekunden lang mit klopfendem Herzen an. Er bestand aus zwei Millimeter dickem Eisenblech, aber irgend jemand hatte das Schloß einfach hindurchgerammt, als wäre es nur das Stanniolpapier aus einer Zigarettenpackung. Jemand. Etwas.
    Und er wollte dieses … Etwas mit nichts anderem als einem Buttermesser in der Hand angreifen?
    Vorsichtig hob er die linke Hand, drückte die Tür auf und lauschte in die Dunkelheit dahinter. Er hörte nichts. Die Stille war vollkommen. Aber er konnte spüren, daß er da war, so deutlich – nein: deutlicher! –, als könnte er ihn sehen.
    Jan machte einen halben Schritt in die Dunkelheit hinein, tastete mit der freien Hand über die Wand neben der Tür und fand nach einer Ewigkeit den Lichtschalter, ehe die Neonleuchten unter der Decke flackernd zum Leben erwachten.
    Der Keller war leer. Eine Spur unregelmäßiger, aber deutlich kleiner gewordener Blutstropfen führte vor ihm über den nackten Betonboden. Er war hier. Jan konnte seine Anwesenheit beinahe riechen.
    Jan fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Da war noch ein winziger Rest vernünftigen Denkens in ihm, der ihm zuschrie, daß das, was er tat, der schiere Wahnsinn war, aber er beachtete ihn jetzt so wenig wie zuvor. Sehr langsam, zitternd, aber trotzdem mit festen Schritten, ging er weiter.
    Rechts und links des Ganges waren keine Wände mehr, sondern die Lattentüren der kleinen Verschläge, in die der Kellerraum aufgeteilt war. Die Blutspur führte zu einem dieser Verschläge. Das Vorhängeschloß, mit dem er gesichert war, war zusammen mit einem guten Drittel der Tür einfach herausgerissen worden.
    Jan versuchte, den in verschwommene Bereiche aus Hell und Dunkel unterteilten Raum dahinter mit Blicken zu durchdringen, aber es gelang ihm nicht. Die einzelnen Kellerverschläge waren kaum drei mal fünf Schritte groß. Wenn der Dunkle hinter dieser Tür war, saß er endgültig in der Falle.
    Um so gefährlicher mußte es sein, ihm zu folgen. Der Kerlwar ein Raubtier, und wenn es etwas gab, das gefährlicher war als ein Raubtier, dann war es ein verwundetes Raubtier.
    Es gab keinen Grund, ihm zu folgen, dachte er nervös. Der Kerl saß dort drinnen in der Falle. Der Menge Blut nach zu schließen, die er verloren hatte, war er wirklich schwer verletzt, vermutlich zu schlimm, um noch einen Fluchtversuch zu wagen, oder gar einen neuerlichen Angriff. Alles, was er tun mußte, war hier zu warten, bis die Polizei kam. Katrin hatte sie vermutlich bereits alarmiert.
    Irgend etwas polterte in dem Bretterverschlag. Etwas Großes, sehr Schweres fiel um und zerbrach, und er hörte einen Laut wie ein Wimmern. Aber es war nicht das Wimmern eines Menschen.

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