Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
aber er konnte sein Spiegelbild in den Schranktüren deutlich erkennen.
Was er sah, war völlig unmöglich. Es war zu gräßlich, um Wirklichkeit zu sein.
Die dritte Sekunde verstrich. Das Ding im Spiegel war plötzlich verschwunden, und von einem Lidschlag zum nächsten stand eine große, dunkel gekleidete Gestalt am unteren Ende des Bettes. Kein Monster – aus der Chimäre war ein Mensch geworden, groß, dunkel, auf eine Art gekleidet, die … sonderbar war, ohne daß Jan diesen Eindruck irgendwie begründen könnte. Dafür ging plötzlich alles viel zu schnell. Hatte sich die Zeit gerade noch wie ein Gummiband gedehnt, so schien sie plötzlich zehnfach schneller abzulaufen, als versuche die Wirklichkeit, die verlorenen Momente irgendwie wieder aufzuholen.
Er sah, wie die Gestalt den Kopf drehte und ihn aus ihren unheimlichen Augen anstarrte, Augen, die so durchdringendund falsch waren wie die Veras, aber zugleich vom Feuer des Wahnsinns erfüllt und von einem Haß, der ebenso grundlos wie unstillbar war. Jan sah das triumphierende Aufblitzen darin und die Hand, welche die Gestalt nach der Türklinke ausstreckte.
Der Tür, hinter der sich Katrin befand …
Der Dunkle war nicht gekommen, um ihn zu holen.
Er wollte Katrin.
Jan reagierte blitzschnell. Er war halb verrückt vor Angst. Das bloße Erscheinen des Unheimlichen versetzte ihn in eine Panik, welche die Grenzen des Vorstellbaren überstieg und jeden Ansatz vernünftigen Denkens hinwegfegte. Er sollte vor Angst erstarren, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Katrin war in Gefahr. Sie hatte gar keine Chance. Selbst wenn sie den Lärm gehört hatte und sofort und richtig reagierte – und wie konnte sie das? – hatte sie keine Chance. Die Zeit würde einfach nicht reichen, um aufzuspringen und davonzulaufen, nicht vor einem Verfolger, der sich mit der Schnelligkeit eines Schattens zu bewegen vermochte und dessen bloße Berührung tötete. Er war gekommen, um Katrin zu töten, nicht ihn. Noch nicht.
»Nein!« brüllte Jan. »Laß sie in Ruhe, du verdammtes Miststück!«
Er stieß sich mit einer Bewegung ab, die seine Kraft und seine Beweglichkeit eindeutig überstieg, flog mit weit vorgestreckten Armen und nahezu waagerecht über das Bett und prallte im gleichen Augenblick gegen den Dunklen, als dieser die Türklinke herunterdrücken wollte.
Die Berührung war nicht so schlimm, wie Jan erwartet hatte, sie war tausendmal schlimmer.
Er hatte das Gefühl, brennendes Eis zu berühren. Der Schmerz zuckte wie eine weißglühende Explosion durch seinen gesamten Körper und löschte sein Bewußtsein nahezu aus. Aber die pure Wucht seines Anpralls reichte aus, den Dunklenvon den Füßen zu reißen und sie beide gegen die Tür prallen zu lassen.
Das Türblatt krachte. Der Dunkle taumelte hilflos in das Zimmer zurück, fand mit einem fast grotesk anmutenden Schritt sein Gleichgewicht wieder und schleuderte Jan mit einer zornigen Bewegung von sich. Das Zimmer schlug einen zweifachen, torkelnden Salto um ihn, und Jan fand gerade noch Zeit, ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, daß er nicht gegen eine scharfe Kante geschleudert wurde und sich das Rückgrat brach, dann prallte er mit entsetzlicher Wucht gegen die Wand.
Er verlor weder das Bewußtsein, noch brach er sich einen Knochen. Er spürte nicht einmal besonderen Schmerz, aber er war für einen Moment so benommen, daß er einfach nur dahocken und mit leerem Blick vor sich hinstieren konnte. Vielleicht war das, was er sah, auch nur eine Halluzination. Er betete fast, daß es so war.
Der Unheimliche näherte sich … Jan sprang hoch, aber seine Kraft reichte nicht aus. Er fiel wieder auf die Knie, stürzte nach vorne und streckte die Arme aus. Irgendwie gelang es ihm, die Knöchel des Dunklen zu packen. Seine Hände waren kraftlos, der Schmerz, den ihm die Berührung des Schattenkörpers bereitete, so unerträglich, daß er abermals gellend aufschrie. Trotzdem fuhr der Dunkle herum, schüttelte seine Hände mit einem wütenden Knurren ab und trat ihm brutal ins Gesicht.
Jan rollte stöhnend auf die Seite, spuckte Blut und kämpfte mit verzweifelter Kraft gegen die Bewußtlosigkeit, die seine Gedanken umschlingen wollte. Irgendwie gelang es ihm, sich trotzdem auf Hände und Knie hochzustemmen und erneut nach dem Unheimlichen zu greifen. Seine Finger krallten sich in groben, brennend kalten Stoff.
Der Dunkle fuhr herum, schleuderte Jans Arme zur Seiteund schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Jan
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