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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Jan ging vorsichtig näher, blieb noch einmal stehen und streckte eine zitternde Hand nach der Brettertür aus. Die Rechte fest um das Küchenmesser gekrampft, zog er die Tür auf.
    Der Verschlag war – wie die meisten hier – fast bis unter die Decke mit ausrangiertem Mobiliar, Kisten, Kartons und Koffern und allem möglichen anderen Kram vollgestopft. Der verbliebene Platz reichte kaum für die zitternde, dunkel gekleidete Gestalt aus, die sich wimmernd in einen Winkel gekauert hatte und Jan aus angstvoll aufgerissenen Augen anstarrte.
    Der Anblick traf Jan wie ein Schlag. Der Unheimliche hatte sich … verändert. Er blutete heftig aus den beiden tiefen Wunden, die Jan ihm zugefügt hatte, und er sah kaum noch aus wie ein Mensch, sondern ähnelte jetzt fast vollkommen dem bizarren … Ding, das er für einen Sekundenbruchteil im Schlafzimmerspiegel gesehen hatte. Es wimmerte vor Schmerz. Der Blick seiner unheimlichen, nicht mehr menschlichen Augen war voller Angst auf das Messer in Jans Hand gerichtet. Als es Jan erblickte, raffte es das erstbeste auf, was in Reichweite war, und warf es in seine Richtung. Das Wurfgeschoß kam nicht einmal in seine Nähe, aber Jan wich trotzdem einenSchritt zurück. Für einen kurzen Moment geriet der Dunkle aus seinem Blickfeld.
    Etwas bewegte sich im Innern des Verschlages. Das Poltern von vorhin wiederholte sich, aber lauter, länger anhaltend diesmal.
    Als Jan sich dem Verschlag wieder näherte, war der Unheimliche verschwunden. In der Rückwand des Verschlages, der einzigen, die gemauert war, gab es eine schmale, kaum anderthalb Meter hohe Tür, die eine gute Handbreit offen stand. Sie war vorher nicht dagewesen. Jan hatte nicht nur nichts von ihrer Existenz gewußt, er wußte mit hundertprozentiger Sicherheit, daß es sie bisher nicht gegeben hatte.
    Er näherte sich der Tür nur sehr zögernd. Der Keller war so vollgestopft, daß er buchstäblich über das Sammelsurium aus Gerümpel und Hausrat hinwegklettern mußte, und er rechnete jeden Moment und sehr ernsthaft damit, daß eine Gestalt aus dem Nichts auftauchen und sich auf ihn stürzen würde.
    Er blieb unbehelligt. Der Dunkle war verschwunden, und die offenstehende Tür zeigte auch ziemlich deutlich, wohin.
    Aus irgendeinem Grund wagte er es nicht, die Tür mit der Hand zu berühren, also schob er sie behutsam mit der Spitze des Messers auf. Dahinter herrschte Dunkelheit. Das wenige Licht, das aus dem Keller hinein fiel, reichte gerade aus, ihm einen vagen Eindruck von dem zu geben, was auf der anderen Seite lag. Ein niedriger, grob gemauerter Gang mit einer gewölbten Decke, auf dessen Boden und Wänden sich Feuchtigkeit und Schimmel festgesetzt hatten. In einigen Schritten Entfernung schien es eine Treppe zu geben, vielleicht auch nur eine Gangkreuzung, an der der Boden etwas niedriger lag. Er würde nicht hineingehen, um nachzusehen. Dieses unterirdische Labyrinth war sein Reich. Das Territorium des Dunklen. Wenn er, Jan, dort hineinging, war er verloren. Selbst tödlich verwundet war der andere noch ein unbesiegbarerGegner, wenn er ihm in seinem ureigensten Element gegenübertrat.
    Jan ließ die Hand mit dem Messer sinken, drehte sich herum und kletterte umständlich wieder über den Gerümpelberg zurück.
    Er war nicht einmal besonders überrascht, als er sich noch einmal umdrehte und sah, daß die Tür verschwunden war.
     
    Als er aus dem Lift trat, konnte er hören, wie eine Wohnungstür ins Schloß fiel. Nicht die zu seiner und Katrins Wohnung; die stand unverändert so auf, wie er sie zurückgelassen hatte, und Jan konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihm der eine oder andere neugierige Blick durch den Spion folgte. Zumindest bekamen sie heute etwas geboten. Sein Anblick – verschwitzt, mit zerrissenen Kleidern, aus mindestens einem Dutzend mehr oder weniger tiefer Schnitte blutend und mit einem blutigen Messer in der rechten Hand – würde für mindestens zwei Wochen ausreichenden Gesprächsstoff im Haus sorgen. Es war ihm vollkommen gleich. So, wie die Dinge lagen, war es höchst zweifelhaft, ob er nach diesen zwei Wochen noch lebte.
    Er betrat die Wohnung, schob die Tür hinter sich zu und legte, vollkommen sinnlos, die Sicherheitskette vor. Nicht, daß er das Gefühl hätte, daß es etwas nützte. Sein Gegner war nicht auf Türen angewiesen, um irgendwo einzudringen, und selbst wenn, dann würde er diese alberne Kette so mühelos zerreißen wie Jan ein Stück Bindfaden. Trotzdem beruhigte es ihn. Nicht

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