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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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war ihm auch gleich. Es spielte keine Rolle. Nichts spielte eine Rolle. Nur, daß er hier heraus kam, so schnell wie möglich und ehe er hier war.
    »Ich gehe nach Hause«, sagte er. »Ich fühle mich schon wieder ganz gut.«
    »Ihr Zustand ist noch sehr labil«, sagte Mertens ruhig. »Und Sie werden nirgendwo hingehen.«
    »Woher wollen Sie das wissen?« murmelte Jan. Er konntekaum noch auf der Stelle stehen. Mertens’ Gestalt flackerte vor seinen Augen, verschob und verdrehte sich, als betrachte er sie durch einen Zerrspiegel, der noch dazu eine Unzahl von Sprüngen hatte, und unter seinen Füßen mußte sich ein winziges Black Hole aufgetan haben, denn sein Körper wurde mit jeder Sekunde schwerer.
    »Immerhin weiß ich am besten, was wir renitenten Patienten wie Ihnen geben, um sie ruhigzustellen«, antwortete Mertens. Er legte den Kopf auf die Seite. »Erstaunlich, daß Sie es überhaupt bis hierher geschafft haben.«
    »Daran sehen Sie, wie gut es mir geht«, murmelte Jan. Alles drehte sich. Ihm war übel.
    »Was soll das?« fragte Mertens. »Haben Sie kein Vertrauen zu mir? Kein Problem. Ich kann einen anderen Kollegen rufen, der sich um Sie kümmert.«
    »Geben Sie den Weg frei«, murmelte Jan mit letzter Kraft. »Oder –«
    »Oder was?« fragte Mertens. Er klang fast belustigt. »Schlagen Sie mich nieder? Ich glaube nicht, daß Sie das schaffen.«
    Allein die Anstrengung, weiter still auf der Stelle zu stehen, überstieg nun seine Möglichkeiten. »Sie … dürfen mich … gar nicht gegen meinen Willen …«
    »… hierbehalten, ich weiß.« Mertens machte ein abfälliges Geräusch. »Dummerweise darf ich Sie in diesem Zustand auch nicht gehen lassen. Begreifen Sie das Dilemma? Wenn Sie schon keine Rücksicht auf sich selbst nehmen, dann haben Sie doch wenigstens Mitleid mit mir. Aber Sie haben recht. Ich darf Sie nicht zwingen, hierzubleiben. Und ich will es auch gar nicht.«
    In seiner Stimme war plötzlich eine Versöhnlichkeit, die Jan alarmierte. Mertens wechselte die Taktik, das war alles. Er spielte auf Zeit. Vermutlich baute er – mit Recht – darauf, daß Jan den Kampf gegen das Betäubungsmittel schließlich dochverlieren würde. Er brauchte ihn einfach nur in ein Gespräch zu verwickeln, das lange genug dauerte, bis er ihm schnarchend vor die Füße fiel.
    Keine Zeit mehr für Diskussionen.
    Die chemische Uhr in seinem Inneren lief ab, und die Schatten ringsum wurden dunkler. Jan versuchte, dieses Phänomen auf sein nachlassendes Sehvermögen zu schieben, aber er spürte zugleich auch, daß es nicht stimmte. Die Dunkelheit in seinen Augenwinkeln bewegte sich.
    Jan taumelte frontal auf Mertens zu und fragte sich, was er eigentlich tun sollte, wenn Mertens einfach stehenblieb. Der Mediziner war zwar einen Kopf kleiner als er und einige Jahre älter, im Augenblick aber zweifellos in der Lage, ihn ohne Probleme festzuhalten. Und wie er Mertens einschätzte, waren ihm die eventuellen Konsequenzen vollkommen egal.
    Mertens nahm ihm die Entscheidung jedoch ab, indem er im letzten Moment zur Seite trat und den Weg freigab. Jan torkelte auf sein eigenes verzerrtes Spiegelbild in der verchromten Rückwand der Liftkabine zu, und die Spiegelung des Schattens, die er ebenfalls darin sah, folgte ihm. Lautlos. Schnell. Er war nicht auf dem Weg. Er war da. Hier.
    »Bitte, Herr Feller … Jan«, sagte Mertens. Da er die Lichtschranke nicht länger unterbrach, schlossen sich die Türhälften langsam. Jan hatte entsetzliche Angst vor dem, was er sehen würde, aber noch mehr davor, einfach stehenzubleiben und das Unausweichliche zu erwarten. Also drehte er sich um und sah Mertens, die sich schließende Tür hinter ihm und zugleich den Schatten an.
    Der war nicht mehr da.
    Verwirrt drehte Jan den Kopf und sah die verspiegelte Wand an, an der er lehnte. Er war zu nahe, als daß sich seine Augen scharf einstellen und ihm ein klares Bild liefern konnten. Sie begannen fast sofort zu schmerzen. Trotzdem konnte er diezugleitende Tür so deutlich erkennen wie den Schatten, der sich dem schmaler werdenden Spalt näherte.
    Etwa eine Sekunde lang konnte er den Krankenhausflur auf der anderen Seite noch erkennen, und da war kein Schatten.
    Jan war felsenfest davon überzeugt, daß der Schatten einfach durch die Lifttür hindurchtreten würde, weil er eine Kreatur aus einer Dimension war, die stoffliche Hindernisse nicht aufzuhalten vermochte.
    Aber die Tür blieb verschlossen, und nichts trat hindurch. Mertens und er waren

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