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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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anders konnte, als sich hochzustemmen. Seine linke Hand pochte wütend. Jan raffte all seinen Mut zusammen, griff nach der Infusionsnadel und riß sie mit einem kräftigen Ruck heraus. Es tat viel weniger weh, als er erwartet hatte, und auch der Schmerz in seinem Arm flammte nur noch einmal kurz auf und war dann einfach verschwunden.
    Aber er hatte keine Zeit, weiter darauf zu achten. Er war fast da.
    Jan stemmte sich mühsam hoch, schlug die Bettdecke zur Seite und machte eine Entdeckung, die ihn zugleich erboste und ihm die Schamesröte ins Gesicht trieb: Man hatte ihm einen Katheter gelegt.
    Er riß ihn heraus. Es tat weh – diesmal viel mehr, als er erwartet hatte –, aber er hatte auch keine Zeit, sich von dem Schmerz ablenken zu lassen, sondern schwang die Beine vom Bett, verzog das Gesicht, als seine nackten Fußsohlen den kalten Boden berührten und stand schwankend auf. Sein Kopf dröhnte. Er machte einen mühsamen Schritt auf das Waschbecken zu – die schmale Tür daneben mußte ein Schrank sein, in dem sich sicher seine Sachen verbargen – und stellte mit einer Mischung aus Resignation und Ärger fest, daß ihm zu allem Überfluß jetzt nicht nur schwindelig wurde, sondern er auch noch Krämpfe in sämtlichen Zehen bekam, die vermutlich durch den eisigen Boden ausgelöst wurden, und zwang sichmit zusammengebissenen Zähnen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der Weg zum Schrank betrug drei, vielleicht vier Schritte, aber er schien kein Ende zu nehmen. Er ist auf dem Weg. Er war fast da. Die Zeit raste, schien aber gleichzeitig fast stillzustehen. Jan taumelte gegen das Waschbecken, schlug sich schmerzhaft die Hüfte an dem harten Porzellan an und wurde damit belohnt, daß er die Tür daneben aufzog und tatsächlich seine Kleider entdeckte, unordentlich in eine Plastiktüte gestopft, aber vollzählig und in halbwegs sauberem Zustand.
    Als er ungeschickt in seine Hose schlüpfte, flog die Tür auf, und die Krankenschwester aus der vergangenen Nacht stürzte herein. Einer der elektronischen Wachhunde, von denen er sich abgenabelt hatte, hatte ihn wohl verpetzt. Verräterisches kleines Miststück!
    »Was ist hier los?!«
    Jan ertappte sich bei der völlig verrückten Frage, was um alles in der Welt die Schwester hier tat. Ihre Schicht mußte längst vorbei sein.
    »Ich habe gefragt, was das zu bedeuten hat«, wiederholte die Schwester scharf. »Herr Feller!«
    Was dem gerechten Zorn in ihrer Stimme nicht gelungen war, das bewirkte der Klang seines Namens. Es mußte wohl doch so sein, daß Namen magische Worte waren.
    »Ich gehe«, sagte er trotzig. »Das sehen Sie doch, oder?«
    »Sind Sie … verrückt geworden?« murmelte die Schwester.
    »Ich muß hier raus«, zischte Jan, während er versuchte, an der Schwester vorbeizukommen » Er ist auf dem Weg. Ich muß weg.«
    » Er ?« hakte die Schwester nach. »Wen meinen Sie?«
    Hinter Jans Stirn begann eine ganze Batterie von Alarmsirenen zu schrillen. Obwohl er einer Panik nicht nur nahe, sonderneigentlich schon davon gepackt war, arbeitete ein Teil seines Bewußtseins plötzlich mit einer unbekannten Schärfe. Er durfte der Schwester keinen noch so kleinen Anlaß geben, an seiner geistigen Klarheit zu zweifeln. Wenn sie glaubte, daß er nicht ganz bei sich war, würde sie ihn aufhalten. Oder jemanden rufen, der es tat.
    »Ich muß weg«, antwortete er mit Nachdruck. »Ich kann nicht bleiben.«
    »Sie werden nichts dergleichen tun!« sagte die Schwester grimmig. Sie hatte ihre Überraschung überwunden und fand nun rasch in ihr gewohntes Verhalten zurück. Jan machte sich nichts vor. Die Krankenschwester war es gewohnt, mit renitenten Patienten umzugehen.
    Sie setzte eine kampflustige Miene auf, trat auf ihn zu und hielt ihn am Arm fest. »Sie legen sich sofort wieder hin«, sagte sie streng.
    Jan riß sich los. Das hieß: Er wollte es tun, mußte aber mit Schrecken feststellen, daß er im Moment ungefähr so kräftig wie ein Neugeborenes war. Schließlich zog die Schwester die Hand zurück – aber gewiß nicht, weil Jans Gegenwehr sie dazu gezwungen hätte.
    Jan versuchte erneut, an der Krankenschwester vorbei, das Zimmer zu verlassen. Sie vertrat ihm den Weg; auf ihrem Gesicht kämpften die unterschiedlichsten Emotionen miteinander. Sie sah beinahe verzweifelt aus. »Ich bitte Sie«, sagte sie, nunmehr eine andere Taktik wählend und an sein Verständnis, wenn schon nicht an seine Vernunft, appellierend. »Sie können nicht gehen. Sprechen Sie

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