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Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel

Titel: Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wenigstens vorher noch einmal mit dem Arzt.«
    »Ich muß weg«, antwortete Jan stur. »Gehen Sie mir … aus dem Weg.«
    Sie machte keinerlei Anstalten, so etwas zu tun, sondern blickte ihn nur weiter vollkommen fassungslos an, so daß Jandie Hand hob und sie an der Schulter packte. Diesmal gab sie seinem schwächlichen Versuch, sie aus dem Weg zu schieben, nicht nach, sondern blieb einfach stehen und blickte ihm in die Augen.
    Jan probierte es noch einmal, registrierte auf einer anderen, tieferen Bewußtseinsebene, die immer lautstärker gegen den Wahnsinn ankämpfte, daß er sich auf diese Weise nur weiter lächerlich machen konnte, und ließ den Arm sinken. Etwas raschelte hinter ihm. Ein Schatten wie das Schlagen eines Schmetterlingflügels ließ das Sonnenlicht flackern, das durch das Fenster hereinfiel, und etwas kam.
    »Gehen Sie mir aus dem Weg«, sagte er. Seine Stimme zitterte vor Schwäche. Sie schwankte und wäre fast umgeschlagen, und sie hörte sich ganz und gar nicht fordernd oder gar befehlend an, sondern einfach nur komisch. Trotzdem mußte etwas darin sein – vielleicht auch in seinem Blick –, was der Schwester klar machte, wie bitter ernst er diese Worte meinte. Sie sah ihn nur noch einen weiteren Moment lang an, dann machte sie eine Bewegung, mit der sie ihre Schultern vielleicht um einen Millimeter hob und die nicht wirklich zu sehen, aber irgendwie zu erahnen war. Sie trat einen halben Schritt zur Seite und zugleich zurück und überlegte es sich dann anders. Bevor Jan das Zimmer verlassen konnte, drehte sie sich um, öffnete die Tür und verließ mit schnellen Schritten das Zimmer; zweifellos mit dem Ziel, das nächstbeste Telefon zu erreichen und Dr. Mertens zu alarmieren – mit etwas Glück. Mit weniger Glück vielleicht auch die Jungs mit den weißen Jacken. Es war egal. Sollten sie ihn einsperren. Wegbringen. Hauptsache, er mußte nicht hierbleiben. Etwas Unvorstellbares würde geschehen, wenn er auch nur noch eine einzige Minute in diesem Raum verbrachte …
    Jan folgte der Krankenschwester, hatte aber erhebliche Mühe, die schwere Tür aufzubekommen. Ihm wurde immerwieder schwindelig. Seine Knie waren weich wie Pudding, und vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen, dazu gesellten sich Kopfschmerzen, die mittlerweile jeder Beschreibung spotteten. Die Droge, die immer noch in seinen Adern kreiste, setzte nun offensichtlich zum Sturmangriff auf seinen Willen an, sein Organismus gehorchte diesem Willen zwar noch und wehrte sich nach Kräften, konnte diesem Chemiecocktail aber nicht genug entgegensetzen. Er war nicht sicher, ob er es bis hinaus auf den Flur schaffen würde. Geschweige denn bis zur Pforte.
    Und dann?
    Jan gestand sich ein, daß er bisher nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet hatte, was dann wäre. Er wußte weder genau, wo er war, noch wohin er wollte. Er wußte nur, daß er nicht hier bleiben konnte.
    Nachdem es ihm endlich gelungen war, die Tür zu öffnen und hindurchzuwanken, fand er sich in einem schmalen, schlauchförmigen Raum wieder, von dessen linker Seite drei Türen und rechts eine Tür abzweigten.
    Jan schlurfte mit hängenden Schultern auf die Glastür zu, auf der er seitenverkehrt das Wort Intensivstation lesen konnte, drückte die Klinke herunter und rechnete fest damit, sie verschlossen zu finden.
    Sie war es nicht. Ganz im Gegenteil erklang ein kaum hörbares Summen, und die Türklinke in seiner Hand bewegte sich beinahe ohne sein Zutun. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf einen langen, vollkommen leeren Krankenhausflur frei. In einiger Entfernung ragte ein gläserner Vorbau in den Korridor hinein, ähnlich dem Cockpit eines Bombenflugzeuges aus dem zweiten Weltkrieg: Das Schwesternzimmer, von dem aus der gesamte Flur zu überblicken war. Er konnte weder die Krankenschwester noch eine ihrer Kolleginnen irgendwo sehen, aber nachdem er die Tür durchschritten hatte, hörte erihre Stimme. Die Worte waren nicht zu verstehen, aber sie klang aufgeregt und sprach sehr schnell. Es war nicht schwer zu erraten, mit wem sie telefonierte.
    Er ist auf dem Weg.
    Jan ging weiter. Er fühlte sich immer noch hundsmiserabel, aber die Bewegung und vor allem das Adrenalin, das die Angst im Übermaß in seinen Kreislauf pumpte, gaben ihm neue Kraft. Seine Kopfschmerzen wurden noch schlimmer und trieben ihm nun buchstäblich die Tränen in die Augen, und er wußte auch, daß er für diese geliehene Kraft bitter würde bezahlen müssen. Er hatte jetzt Mühe,

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