Dunkelerde: Gesamtausgabe
Pause. Er schien erschöpft zu sein.
„Was hat dein Lehrmeister Scharnat-Al-Katrasch damit zu tun, dass wir in diesem Kerker eingesperrt sind?”, hakte Koschna-Perdoschna Wolfsauge schließlich nach.
„Nun, das Land Parasch-Tschu-Dra - bleiben wir bei dieser dir vertrauten Bezeichnung - wurde einst in einen Krieg verwickelt, dessen komplexe Hintergründe ich einem Barbaren wie dir ersparen möchte. Die Scharon-Mesch-Völker glauben an eine Existenz nach dem Tode. Sie bauten mit magischen Mitteln Tore, durch die die toten Scharon-Mesch den Lebenden im Krieg zu Hilfe eilen sollten. Allerdings kamen durch diese Tore nicht die toten Scharon-Mesch, die ihren Nachfahren zu Hilfe eilen wollten, sondern Heere von grausigen Dämonenwesen. Diese Tore sind seit jener Zeit Orte, die mit Tabus belegt sind.”
„Ist das Tor, durch das wir hierher in die Vergangenheit gelangten, so ein Ort?”
„Ja. Die Zeichen an seinem Rundbogen sind magische Formeln, die verhindern sollen, dass jemals wieder Dämonen durch dieses Tor gelangen und Tod und Verwesung bringen. Der Gedanke, der schon meinen Lehrmeister nicht los gelassen hatte, war folgender: Offenbar war es möglich, durch dieses Tor nicht nur eine Verbindung in die Gefilde der Toten, sondern auch in andere, uns sonst nicht zugängliche Bereiche herzustellen. In die Herkunftswelt der Dämonen beispielsweise oder...”, er zögerte, ehe er weitersprach, „...in die Zukunft. Zu wissen, was geschehen wird, kann absolute Macht bedeuten. Aber Orakel und Seher vermögen nur verschwommene, zumeist nichtssagende Einblicke zu gewähren. Wertloses Gewäsch, mehr ist es oft nicht, was sie liefern. Mein Lehrmeister wollte mehr - und ich setzte seine Studien fort. Ich versuchte, eines der Dämonentore mit Hilfe magischer Mittel so zu manipulieren, dass ein Durchgang in die Zukunft möglich wurde. Es gelang mir nach endlosen Nächten, in denen ich die Wächter, die die Stätte des Tabus zu bewachen hatten, in einen Schlaf des Vergessens versetzen musste. Aus alten Schriften erfuhr ich von einem grünen Juwel, das in der Lage war, magische Kräfte auf besondere Weise zu bündeln. Ich unternahm weite Reisen, um dieses Juwel schließlich in meinen Besitz zu bringen. Ich wollte es dazu benutzen, das Tor in die Zukunft zu öffnen. Aber es sollte nicht wieder eine Katastrophe hereinbrechen, wie sie diejenigen zu verantworten hatten, die die Hilfe unserer toten Ahnen herbeizurufen hofften. In jener Nacht, als ich auf deine Welt, in dein Zeitalter hinüber wechselte, lockerte ich einen Stein im Mauerwerk des Tores, verbarg das grüne Juwel dahinter. So hatte ich es in alten Aufzeichnungen gelesen. Schriften, die älter sind als die erste Dynastie Parasch-Tschu-Dras. Ich bereitete ein Ritual vor. Allerdings unterschätzte ich die Kraft, die es mich kostete. Und so verlor ich die Kontrolle über die Wächter. Außerdem sorgten die Lichterscheinungen dafür, dass ich entdeckt wurde. Bald war ich umringt von wütenden Kriegern, die mich der Anwendung schwarzer Magie bezichtigten. Mir blieb nichts anderes übrig als die Flucht.”
„Die Flucht durch das Tor”, murmelte Koschna.
„So ist es. Und ich tat es so überstürzt, dass ich nichts einstellen konnte. Sogar das grüne Juwel musste ich zurücklassen. Es ist eines der mächtigsten magischen Artefakte, die ich je kennen gelernt habe. Wer es zu benutzen versteht, vermag, die Welt aus den Angeln zu heben. Ich taumelte durch das Tor und wurde in die Zukunft geschleudert. Es gab kein Ziel. Ich war einfach nicht mehr dazu gekommen, dieses zu bestimmen. So übersprang ich Jahrtausende im Diesseits und landete anschließend auf Dunkelerde. Obwohl ich das zunächst gar nicht begriff, denn ich fand mich in einer verlassenen, verfallenen Wüstenstadt wieder, die gerade so erschien, als wäre sie die untergegangene Stadt, in der ich die Reise begonnen hatte. Das blaue Leuchten verblasste und mir war klar, dass es für mich ohne das grüne Juwel kein Zurück gab.
Ich untersuchte jene Mauerstelle im Tor, in der ich es - Zeitalter zuvor - verborgen hatte. Aber es war nicht mehr dort! Offenbar war es im Laufe der Zeit entdeckt und entfernt worden. Was Wunder? Es gab keine Rückkehr, so glaubte ich. Niemals. Ich irrte durch die Wüste, erhielt mich so lange es ging mit Hilfe der Magie am Leben. Halb wahnsinnig vor Durst fand ich eine Karawane, die mich Richtung Üruschil brachte. Ich passte mich an die neue Zeit an, lernte ihre Sprachen - die Hauptsprache
Weitere Kostenlose Bücher