Dunkelkammer: Frank Wallerts erster Fall (German Edition)
einen runtergeholt hat?“, erinnerte sich Frank.
„Genau. Du hast mitten in der Nacht gefragt, wie man eine Vierzehnjährige anschauen dürfe. Du erinnerst dich?“
„Ja, natürlich. Das hing mit unserem Fall zusammen!“
Ina stutzte.
„In eurem Fall spielt sexueller Missbrauch eine Rolle? Das wusste ich ja gar nicht!“
„Nicht wirklich. Wir sehen da noch nicht ganz klar. Ist aber jetzt auch nicht wichtig. Mach erstmal weiter!“
„Dieses Mädchen sollte gestern von mir in eine Wohngruppe gebracht werden. Da tauchte kurz vorher diese Mutter auf und hat ihre Zustimmung widerrufen. Das Kind bleibt jetzt erstmal zu Hause!“
Bei ihren letzten Worten war Ina lauter geworden und schlug im Rhythmus ihres Sprechens mit der linken Hand auf den Tisch.
„Das heißt, dass sie dem Vater wieder ausgeliefert ist?“, wunderte sich Frank.
„Ja. Das musst du dir mal vorstellen!“
Ina schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Aber ihr habt doch auch die Möglichkeit, das Kind aus der Familie zu nehmen, obwohl die Eltern das nicht wollen!“
Frank schüttelte auch fassungslos den Kopf.
Ina zählte an den Fingern ab: „Erstens dauert das ewig, bis wir das durch haben. Ich habe es vorgeschlagen; es wurde aber sofort abgebügelt. Zweitens geht das nur, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht.“
Sie lehnte sich zurück und schaute Frank an.
„Ich verstehe“, sagte er. „Das hat dann das Fass zum Überlaufen gebracht.“
„Noch nicht so richtig. Anschließend hatte ich ein Gespräch mit einem Kollegen: Jens Brockmann. Ich hatte natürlich immer noch diesen Lehrer im Kopf und habe dann mit Jens ausführlich über das Mädchen und den Vater und meinen Schlag ins Wasser mit der Unterbringung geredet. Du wirst nicht glauben, was der am Schluss zu mir gesagt hat.“
Ina ließ es offen und sah Frank herausfordernd an. Der zuckte mit den Schultern, obwohl er ahnte, was jetzt kommen würde. Ina beugte sich weit nach vorne, versuchte den Blick ihres Kollegen zu imitieren, was Frank zu einem Lächeln zwang, und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
„Kind, nimm dir nicht immer alles so zu Herzen. Wir tun hier unseren Job und können ihn nur so machen, wie die Rahmenbedingungen es zulassen!“
Jetzt herrschte gespannte Stille zwischen ihnen. Frank nahm Inas Hand.
„Warum konntest du mir das
so
nicht gestern Abend erzählen?“
Ina entzog ihm die Hand und nahm sich eine weitere Zigarette.
„Ich bin nach Hause gekommen und war richtig angefressen, nicht nur, auch traurig. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es niemandem recht machen zu können. Der Lehrer sagt, ich solle engagierter für die Kids eintreten. Der Kollege sagt, ich solle mich stärker von dem Elend der Kids abgrenzen und meinen Job machen. Ich will den Kindern helfen und kann es oft nicht, weil mir die Hände gebunden sind. Also hatte ich mich entschlossen, sofort den Bericht zu schreiben, und zwar so, dass er Staub aufwirbeln würde. Dann kriege ich den Rechner nicht an. Als es dann schließlich geht, macht die Maus auch noch Mucken. Als wär das nicht genug, tritt mein Frank dann auch noch auf die Bühne …“. Sie wedelte mit den Händen durch die Luft und brachte Frank zum Lachen. „ … und wechselt großkotzig die Maus aus. Dabei wollte ich ihm gerade Saures geben, weil er sich immer noch nicht um dieses verdammte Teil gekümmert hatte.“
Ina musste jetzt selbst lachen. Gleich darauf verschwand das Lachen aber wieder aus ihrem Gesicht.
„Als wir dann miteinander gesprochen haben, hat mich deine Art einfach total genervt. Du hast mich behandelt, als sei ich ein Pflegefall, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank!“, sagte sie und machte den Scheibenwischer.
„Und so bist du immer wütender geworden, bis du es dann geschafft hast, in
mir
den Buhmann zu sehen, den du nach Lust und Laune beleidigen kannst!“
„Das tut mir auch sehr leid!“
Ina hatte den Blick auf den Tisch gerichtet.
„Es tut mir wirklich sehr, sehr leid. Entschuldige bitte!“
Frank stand auf, nahm die beiden mittlerweile geleerten Kaffeetassen und blickte Ina fragend an. Als sie nickte, ging er zur Spüle und goss Kaffee nach. Er setzte sich wieder.
„Möglicherweise – nein
sicher
, wenn ich dich heute so höre – habe ich mich gestern an einigen Stellen auch blöd verhalten. Das tut mir auch leid. Trotzdem gibt es etwas, was mir an dem gestrigen Abend große Angst gemacht hat.“
Ina nickte. „Ich weiß, was du meinst.“, sagte sie
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