Dunkelmond
das fast fertige daikon für den Heermeister auf seinem Amboss. Eine Klinge, in die Sinan all seine Kunst und seinen Stolz gesteckt hatte. Nur wenige Runen fehlten noch darauf, dennoch würde er es so bald nicht fertigstellen können.
Fast bedauerte er, dass er nun nicht sehen konnte, wie es der Heermeister in Empfang nahm. Er hätte zu gerne gewusst, ob der Zwilling jenes Mannes, der seinen Vater getötet hatte, auch dieses daikon mit der Ehrerbietung betrachtet hätte, die er dem Erbstück des Vakaran entgegengebracht hatte.
Doch er würde nicht mehr hier sein, wenn Telarion Norandar herausfand, dass die Feuermagierin, die er in seiner Gewalt hatte, geflohen war. Nicht einen Tag, nicht eine Stunde länger würde er im Sklavendienst dieses herrischen Elben bleiben, der noch besser als sein Bruder zu wissen glaubte, was die Schöpfergeister für die Welt geplant hatten.
Sinan sah auf den Zeltplatz hinaus. Die Elben, die die letzte Stunde des Tages mieden, hätten langsam erwachen müssen, doch nichts rührte sich. Dann sah er es: winzige Lichter, blassrote Funken nur, die von der Westseite des Platzes hinüber zum Osten schwebten und dabei verschlungene Muster bildeten, sich auflösten und wieder neu entstanden. Sie schienen zu tanzen und jedes Lebewesen, das sie fanden, zu begrüßen.
Erst als die Funken auch ihn erreichten und um ihn herumwirbelten, hörte er, dass es sichtbar gewordene Musik war.
Ronan gab das Zeichen.
Sinan tastete nach seinem Hammer, griff nach dem Wasserschlauch, band ihn sich auf den Rücken und warf den Beutel mit Decke, Proviant und einem Messer über die Schulter. Dann nahm er die Scheide, die er aus Holz geschnitzt hatte und in der das fast fertige daikon steckte.
Auf dem Zeltplatz blieb es still. Trotz der Dunkelheit war zu sehen, dass die Elben, die vor dem ethandin des Heermeisters und den anderen Zelten Posten bezogen hatten, weiterhin wachsam blieben und doch weder die Funken der Melodie sahen noch hörten. So wie das Licht des Liedes Sinan Mut und Zuversicht zu schenken schien, nahm es den Elben die geschärften Sinne und schläferte den Verstand ein.
Sinan sah sich noch einmal um, verabschiedete sich still von seiner Schmiede und verschwand, begleitet von den Funken, im Wald. In den vergangenen Tagen war er den Weg zum Treffpunkt so oft gegangen, dass er ihn auch mit geschlossenen Augen gefunden hätte.
An einem der wenigen Lokantabäume, die sich hier befanden, machte er Halt und verbarg sich in den Gezalbüschen, die sich zwischen den Wurzeln angesiedelt hatten. Als er den Kopf hob, sah er in der Entfernung von etwa einem Dutzend Klaftern silbrig goldene Laternen durch das Gestrüpp schimmern.
Das Heerlager.
Es dauerte nicht lange, dann vibrierte die Erde unter ihm. Doch es war kein Erdbeben, es dröhnte nicht. Nur ein leises Scharren war zu hören, das schließlich zu schwerem Atem wurde. Ein weißes Gebiss erschien im Dunkeln.
Es war Mojisola, der aus der Finsternis kam und ihn anlächelte.
Einen Augenblick später stieg Sinan der frische Duft süßer Obstblüten in die Nase. Bevor er überlegen konnte, hing ihm eine junge Frau am Hals.
»Sinan!«, stieß seine Schwester aus. Sie umklammerte ihn, als habe sie etwas Verlorenes wiedergefunden.
Seine kleine Schwester. Für einen Augenblick war Sinan davon überwältigt, Sanara nach so langer Zeit wieder im Arm zu halten. Vielleicht hatte er unrecht gehabt. Wie konnte er nur schlecht von ihr denken! Er drückte sie kurz.
»Du hast … Ich bin so froh, dass du dem Vogt seine Lügen nicht geglaubt hast!«
Die Lügen des Vogts. Sinan wurde sich bewusst, dass sie nach wie vor gekleidet und frisiert war wie eine Elbin. Der Vogt hatte nicht gelogen. Vorsichtig, aber doch entschieden, befreite Sinan sich aus den Armen, die ihn umschlungen hielten. Er schob seine Schwester von sich fort und ließ sie los.
Verwirrt sah sie ihn an.
»Du sprichst von Lügen? Sieh dich an«, sagte er. Er griff in ihre lose fallenden Locken, die ihr fast bis zur Hüfte reichten, und ließ sie so plötzlich wieder los, als handele es sich um giftige Raqortriebe.
Dann kam ihm ein Gedanke. Er hob die Hand und schob mit einem energischen Griff den Kragen ihrer Bluse beiseite. Er schnaubte, als er auf ihr Hauszeichen sah; die Sonnenechse, die sich auf dem runden Diamanten mit dem Achtfachschliff zusammenrollte.
Sanara folgte seinem Blick – und erschrak offenbar.
Wer dem Haus des Siwanon angehörte, dessen Echse besaßSchuppen, die in jeder
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