Dunkelmond
die er sich aus ihrem Geist holte und die alles waren, was sie in diesem Sklavendasein noch hatte, nichts weiter waren als Hirngespinste. Selbst Ronan, der zwar seltener als in Bathkor, aber dennoch hin und wieder auftauchte, wenn der Heermeister sie tief in der Nacht zurück in ihr Gefängnis schickte, konnte die Bilder nicht allzu lange vertreiben.
Der Halbelb beugte sich nun vor ihr herab und schob vorsichtig ihren Haarvorhang beiseite, um das Band um ihre Knöchel zu lösen, sodass sie gehen konnte. Sie straffte sich und gab sich Mühe, nicht zu den Knöcheln zu greifen und die Gelenke zu massieren, die sich an dem Band wundgerieben hatten.
Der Halbelb kletterte aus dem Wagen und wartete draußen auf sie. »Nun, Mendari?«
Sie rührte sich nicht. »Was, wenn ich nicht komme?«
Die Brauen über den gelben Augen hoben sich. »Ihr seid nichtbei Kräften. Sicher wollt ihr vermeiden, mit einer Brandnarbe im Gesicht vor dem Fürsten zu erscheinen«, sagte er und spielte damit auf die Feuerkraft an, die er offenbar besaß.
Statt einer Antwort wandte Sanara sich ab und zog sich ein paar der zerlumpten Decken, die das Rumpeln des Wagens etwas mildern sollten, über den Körper.
Einen Augenblick später wurde sie grob am Handgelenk gepackt und aus dem Wagen gerissen, dann stellte man sie mit elbischer Muskelkraft auf die Beine. Sie biss die Zähne zusammen, als sich Finger tief in ihren Oberarm gruben. Im nächsten Moment brannten die Druckmale wie flüssiges Feuer. Flammen, die Sanara nicht abwehren konnte, weil sie sich wie frische Wurzeln einer Pflanze in ihr Fleisch zu graben schienen.
»Ich werde dem Heermeister gehorchen«, zischte es in ihr Ohr. »Und er befahl mir, Euch zu ihm zu bringen.«
Dann zerrte er sie mit sich.
Sanara sah nicht mehr auf. Sie kannte die Umgebung, denn bereits einen Zehntag war das Heer des Königs der Elben unterwegs. Sie befanden sich jetzt in den Bergwäldern des südlichen Loranon-Gebirges, und wie bisher jeden Abend, regnete es. Es schien, als wolle der Himmel hier ausgleichen, was er in diesem heißen und trockenen Frühjahr in Bandothi versäumt hatte.
Sanara reiste in einem Wagen, wie ihn Daris des niederen Adels bisweilen benutzten; er war klein, stickig, verbarg aber die Insassin züchtig vor den Blicken der Soldaten. Die Tür des Wagens hatte man verstärkt. Pferde zogen ihn, während die Wagen der elbischen Adligen oft getragen wurden. Einerseits war Sanara froh, dass sie so vor den halbtropischen Pflanzen geschützt war und nicht, wie die Menschen, die den Heerzug begleiteten, zu Fuß unter den riesenhaften Blättern und dem freien, regnerischen Himmel marschieren musste.
Und obschon sie abends froh war, wenn sich die Tür des rollenden Verschlags öffnete und der Halbmensch und Feuermagier sie holte, um sie in das Zelt des Heermeisters zu bringen, so verabscheute sie dennoch den Weg dorthin. Ein Weg, bei dem sie immer wieder an Elben und auch Menschen vorbeimusste, die sie mit ihren geringschätzigen Blicken verfolgten; die einen, weil sie die Magie der Dunkelmagierin verachteten, die anderen, weil das Gerücht, eine Amadian helfe den Norandar-Brüdern, bereits die Runde machte.
Eine kleine Weile später wurde eine bestickte Decke zurückgeschlagen, die den Eingang von einem der größeren ethandin des provisorischen Lagers verdeckte. Kalte, feuchte Luft schlug Sanara entgegen, geschwängert von den Gerüchen nach Baumharz und frisch geschlagenem Holz.
Unwillkürlich blieb sie auf der Schwelle stehen. Angst erwachte in ihrem Inneren. Doch sie durfte nicht lange stehen bleiben, der elbische Feuermagier führte sie tiefer in die Schatten, drückte sie auf einen Schemel und band ihre Hände an einen der Pfähle, die das ethandin stützten.
Sanara schloss die Augen und richtete, wie Ronan es ihr gezeigt hatte, den Blick auf ihre innere Flamme.
Sie sah nicht auf, als der Heermeister den halbelbischen Hauptmann mit einem Nicken fortschickte und sich vor ihr auf einem Hocker niederließ.
Das Netz aus grüner Luft, das sie umgab, war mittlerweile dünn, aber fest. Sanara fehlte die Kraft, die sie in Bathkor von Ronan erhalten hatte. Sie fragte sich, wann der Musikant sein Versprechen einlösen würde und wie lange sie noch jeden Abend die Tortur überstehen konnte, mit der der Heermeister sie zu bezwingen versuchte.
Allabendlich knüpfte der Fürst weiter an dem Netz, das ihre Magie unter seine Herrschaft zwingen würde, bis sie schließlich ihre Feuermagie auf ein Wort
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