Dunkelziffer
es gesehen, konnte aber nichts dagegen tun. Ich meine, sie geriet auf die schiefe Bahn. Ich wusste, dass sie sich mit Nacktbildern und dergleichen abgab, aber ich konnte nichts dagegen tun.«
»Aber es gab andere, die das konnten?«
Birgitta Flodberg verstummte wieder. Kerstin zählte langsam bis zehn. Sie war nicht sicher gewesen, wie viel Birgitta Flodberg eigentlich wusste. Jetzt hatte sie das Gefühl, dass sie vielleicht alles wusste.
»Er ist nicht allein, nicht wahr?«, sagte sie, so milde sie konnte.
Flodberg schloss fest die Augen und sagte: »Es gibt eine Lebenskraft. Die macht den Unterschied aus, ob man lebt oder nur überlebt. Man kann ohne sie überleben, das tun die meisten. Ich tue das. Er hat sie mir genommen in jener Nacht im Juli 1989. Er kann sie mir nicht zurückgeben, wie sehr er es auch versucht. Aber wenn die Lebenskraft da ist - Emily hat sie, alle in ihrem Alter haben sie -, dann kann sie entweder positiv sein oder negativ, lebens- oder todesbejahend. Bei Emily war sie im Begriff, todesbejahend zu werden. Die Sexualität war im Begriff, destruktiv zu werden. Sie muss umgelenkt werden.«
»Und das tut sie? Die Organisation, der Emilys Vater angehört? Sie lenkt negative Sexualität um?«
»Wenn die negative Sexualität einen Menschen beherrscht, kann sie nicht mehr umgelenkt werden. Es ist nur möglich, solange sie auf dem Weg ist, das zu tun.«
»Wer sind diese Leute? Liebe Birgitta, reden Sie jetzt. Das sind Mörder.«
»Sie tun die Arbeit, die die Polizei tun sollte, aber die Polizei versagt.«
»Nein. Wir leben in einem Rechtsstaat. Dieser Rechtsstaat hat keine Todesstrafe. Wir haben nicht das Recht, andere Menschen zu töten, es sei denn in Notwehr.«
»Das hier ist Notwehr. Sie töten aktive Pädophile, die sich regelmäßig an Kindern vergreifen. Genau dann, wenn sie im Begriff sind, es zu tun. Es sind keine Unschuldigen, keine passiven Kinderpornogucker, sondern aktive Gewalttäter, die scharenweise das Leben von Kindern zerstört haben und weiter zerstören werden. Ich weiß, was das mit einem macht. Und ich war immerhin fünfzehn. Die meisten sind erst fünf Jahre alt.«
»Und was ist mit Sten Larsson?«, sagte Kerstin Holm. »Er hatte kein Register solcher Übergriffe. Dagegen war er zum Opfer eines Justizirrtums geworden. Durch Ihre Schuld, Birgitta.«
»Sie waren sich bei ihm offenbar nicht sicher. Dass seine Sexualität negativ war, das war dagegen eindeutig, aber sie wussten nicht, ob sie aktiv war.«
»Also durfte Emily Versuchskaninchen spielen? Oder Lockvogel?«
»Sie ließen sie ihre Korrespondenz mit Larsson zu Ende bringen. Aber sie überwachten ihre Schritte. Und als die beiden sich da oben im Wald begegneten, versuchte er, sie zu vergewaltigen. Da sind sie eingeschritten.«
»Woher wissen Sie das, Birgitta?«
»Er hat es mir erzählt.«
»Wer ist er? Wer sind die Leute?«
»Ich weiß es nicht. Für mich ist er nur >er<. Er taucht manchmal mit Geld auf. Er hat solche Angst. Seine Vergangenheit sucht ihn heim. Seine Sexualität ist noch immer negativ, er hat sich den kleinen Finger abgeschnitten, um sich immer daran zu erinnern. Sie kann nicht positiv gemacht werden. Er erzählt mir davon, wie er versucht, die Dinge wieder geradezurücken. Er weiß nicht, ob es möglich ist, ob er ein Recht hat zu leben. Aber er hat beschlossen, es zu versuchen. Und da hat er von den Leuten erzählt. Aber keine Einzelheiten. Er hat bestimmt darauf geachtet, dass ich keine wichtigen Informationen bekomme. Damit ich selbst in einem Kreuzverhör nichts verraten kann.«
»Und jetzt wollen sie Ihre Tochter umpolen. Weil sie ein bisschen mit ihrer Sexualität experimentiert. Haben Sie eine Ahnung davon, welcher Art von Gehirnwäsche sie unterzogen werden soll? Haben Sie die blasseste Ahnung, welchen Ritualen sie sich zu unterwerfen gezwungen sein wird?«
»Sie ist vierzehn und verkauft Pornobilder von sich selbst im Internet. Es ist doch klar, dass etwas dagegen getan werden muss. Aber ich schaffe das nicht.«
»Wir haben seine DNA«, sagte Kerstin Holm. »Er hat da oben im Wald Spuren hinterlassen. Seine Tage sind gezählt.«
»Wir werden ja sehen«, sagte Birgitta Flodberg mit einem kleinen Lächeln.
»Haben Sie wirklich nichts anderes, an das wir uns halten können, Birgitta?«
»Nein. Ich habe wirklich nichts anderes.«
»Okay«, sagte Kerstin und stand auf. »Ich schicke einen Polizeizeichner herein, der Ihnen helfen soll, ein Bild von Emilys Vater zu zeichnen. Es
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