Dunkelziffer
Werke. Sie schneiden den Pädophilen mit Klaviersaiten den Hals durch und stellen sie so zur Schau, dass ganz Stockholm auf die beiden Schnittflächen des durchtrennten Halses starren kann.«
»Das ist er also«, nickte Kerstin Holm und spürte, dass sie blass wurde. »Es ist nicht zu fassen.«
»Jetzt solltest du dich ein bisschen klarer ausdrücken«, sagte Arto Söderstedt und streckte seinen krummen Rücken.
»Das ist Emily Flodbergs Vater«, sagte Kerstin. »Er ist der Mann, der Pädophile ermordet.«
»Aber er ist doch tot«, sagte Viggo Norlander. »Sten Larsson. Den Gunnar ausgegraben hat.«
»Gunnar hat es ja wohl nicht allein gemacht«, sagte Kerstin. »Aber er war nicht Emilys Vater.«
»Gunnar?«
»Nein, Gunnar Nyberg ist nicht Emilys Vater. Das ist richtig. Aber er ist ihm offenbar ziemlich ähnlich. Komischerweise.«
»Wartet mal«, sagte Arto Söderstedt und hob beide Hände. »Jetzt komme ich nicht mehr mit. Sten Larsson ist nicht Emilys Vater?«
»Nein, Birgitta Flodberg hat gelogen, als sie ihn im Sommer neunundachtzig identifizierte. Um das Ganze schnell hinter sich zu bringen.«
»Und es gibt einen anderen Kandidaten? Der jetzt andere Pädophile abmurkst? Denn ein Mann, der zwei Fünfzehnjährige vergewaltigt, muss wohl als Pädophiler bezeichnet werden. Bringt er sich selbst um? Seine eigene Vergangenheit? Ist das die übermenschliche Kraft, die wir sehen?«
»Ich glaube, das ist die beste Analyse, Arto«, sagte Kerstin. »Keine Verachtung ist so stark wie die Selbstverachtung und kein Hass so stark wie der Selbsthass.«
»Woher wissen wir, dass es dieselbe Person ist?«
»Das wissen wir nicht genau. Aber das zweite Opfer, die hirngeschädigte Elvira Blom in einem Pflegeheim in der
Nähe von Sollefteä, erhält dann und wann Besuch von einem Mann, der gesagt hat, er sei der Schuldige. Und er war da, als Emily verschwand und Sten Larsson ermordet wurde. Vieles deutet darauf hin, dass er zum fraglichen Zeitpunkt im Wald war.«
»Aber von da ist ja noch ein weiter Weg bis zum Serienmörder von Pädophilen in Stockholm.«
»Nicht bei der Sichtweise, die du gerade angedeutet hast, Arto. Er ist auf einer Büßerreise. Er hat sich aus den Trümmern seiner selbst erhoben und will für seine Vergangenheit Wiedergutmachung leisten. Außerdem hat er sich anscheinend einen Finger abgeschnitten, vielleicht als Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit.«
Arto Söderstedt blinzelte und starrte Kerstin Holm an. »Einen Finger abgeschnitten?«, sagte er skeptisch.
»So hat es sich offenbar bei Elvira Blom angehört.«
»So weit stimmt es«, sagte Söderstedt. »Das ist die Stärke der Gefühle, die wir auch in den Schnittflächen des durchtrennten Halses sehen.«
»Aber«, sagte Viggo Norlander, »um sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu befinden, muss er Kenntnis von Sten Larssons und Emily Flodbergs Verabredung gehabt haben. Woher hat er die Kenntnis? I st er zusätzlich auch Computerf reak ?«
Kerstin Holm und Arto Söderstedt starrten sich an, dann richteten sich beider Blicke auf Viggo Norlander. Die Situation war ihnen nicht unbekannt.
»Habt ihr euch noch immer nicht an den Minimalismus gewöhnt?«, sagte Norlander mit einem kleinen Lächeln.
Söderstedt hielt einen schulmeisterlichen Zeigefinger in die Höhe und sagte: »Wenn er an die zehn Pädophile ermordet hat, dann muss er beinahe ein Computerfreak sein. Wie kommt man diesen Meistern der Verkleidung anders auf die Spur? Er muss in diesen Pädophilenring eingebrochen sein. Er ist beides, Muskeln und Gehirn.«
»Wenn es nicht eine Organisation ist«, sagte Norlander.
»Er ist die Muskelkraft der Organisation«, nickte Kerstin Holm. »Das ist logischer. Die Organisation hat Computergenies, die suchen.«
»Aber ist eine solche Organisation wirklich logisch?«, fragte Söderstedt. »Wo gibt es so etwas? Eine Bürgerwehr im Internet?«
»Das herauszufinden«, sagte Kerstin Holm und konterte Söderstedts Zeigefinger, »ist eure nächste Aufgabe, meine Herren!«
»Und was tust du?«, fragte Söderstedt.
»Ich rede mit Computergenies«, sagte Kerstin Holm und verließ die Herren mit den neuen Aufgaben.
Sie ging ein paar Schritte weiter zu Zimmer 304. Da sah es aus, als hätten die Herren ihr Zimmer seit mehreren Tagen nicht verlassen. Es roch auch so. Jorge Chavez und Jon Anderson begannen langsam, aber sicher, ihrem neuen Zimmergenossen Axel Löfström zu gleichen.
»Lagebericht«, sagte sie trocken.
Jon Anderson
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