Dunkelziffer
ist wichtig, dass Sie so genau wie möglich sind.«
Sie verließ Birgitta Flodberg und trat hinaus in den Korridor. Als sie zu ihrem Zimmer kam, war sie so in Gedanken vertieft, dass sie an dem jeansbekleideten Mann, der am Türpfosten lehnte, einfach vorbeiging. »Hej«, sagte er.
Sie blickte auf. Direkt in einen blauen Bannkreis.
Sie hatte nicht erwartet, dass die Wirkung so stark sein würde, aber sie unterschätzte ja immer die physische Wirkung, die Bengt Äkesson auf sie ausübte. Als ob sie vergessen hätte, dass sie einen Körper hatte.
In ihr klang die Stimme von Birgitta Flodberg: >Es gibt eine Lebenskraft. Sie entscheidet darüber, ob wir leben oder nur überleben. Man kann ohne sie überleben, das tun die meistens
Kerstin Holm hatte den Kontakt mit ihrer Lebenskraft geknüpft, aber ihn dann wieder abgebrochen. Warum? Vorübergehende Arbeitsüberlastung? Oder erstarrte Lebenskraft?
Sie legte auf jeden Fall die Hand auf Bengt Äkessons Arm und sagte: »Aber hej, Bengt. Wo bist du abgeblieben?« »Wo bist du abgeblieben, Kerstin?« »Gehen wir rein.«
Sie gingen in ihr Zimmer. Als sie ihm den Rücken zugekehrt hatte, trat er an sie heran und drehte sie zu sich. Dann drückte er seine Lippen auf ihre, und sie öffnete sie. Es war ein Kuss, der ihre Situation zusammenfasste, all die Frustration und Unsicherheit, die sie voreinander und vor dem Leben empfanden. Es war ein Kuss, der Rettung bedeutete.
Lebenskraft, dachte Kerstin, als sie sich dann gegenüberstanden und in die Augen sahen. Wenn diese Irren recht haben. Wenn es wirklich eine grundlegende Lebenskraft gibt.
Sie setzten sich an den Schreibtisch. Jeder auf eine Seite. »Hjelm ist weg«, sagte Bengt Äkesson ohne jede Einleitung.
Kerstin verstand nicht, was er sagte. »Weg?«, sagte sie nur.
»Wir haben zusammen an dem Fall gearbeitet, seit gestern Abend.«
»Zusammen? Ich dachte, er sollte gegen dich ermitteln?«
»Wir kamen überein, dass es so das Beste war. Marja Willners Anzeige wegen sexueller Belästigung war so offensichtlich falsch. Das Beste, was wir tun konnten, war, ihren Mann zu suchen. Wir waren schon ein gutes Stück vorangekommen. Wir haben ein Skelett mit einem Penisknochen gefunden ...«
»Wie bitte?«
»Ein Skelett mit einem genetischen Defekt.«
»Und was hat das mit der Sache zu tun?«
»Marja Willners Mann hatte es aus der Grube in Gamla Stan geklaut, wo er arbeitete. Dann ist er verschwunden. Heute Morgen wollten wir untersuchen, was das für ein Skelett war. Hjelm sagte, er wollte ein paar Dinge von zu Hause aus recherchieren. Aber heute Morgen tauchte er nicht auf. Keiner weiß, wo er ist. Zu einem Arbeitsessen mit Niklas Grundström ist er nicht erschienen.«
»Ich kenne das von ihm«, sagte Kerstin Holm mit einem kleinen Lächeln und nickte. »Er ist auf etwas gestoßen. Dann löst er sich in Luft auf.«
»Aber er meldet sich wenigstens am Handy«, sagte Äkesson. »Jetzt hat er den ganzen Tag nicht geantwortet.«
»Er ist ein großer Junge. Er kann auf sich selbst aufpassen.«
»Komm nicht mit solchen Phrasen, das bringt nichts«, sagte Äkesson gereizt. »Es ist etwas passiert.«
Kerstin Holm betrachtete ihn. Sie konnte nicht abstreiten, dass diese schnell aufflammende Reizbarkeit ihr eigentlich gefiel. Sie war - leidenschaftlich.
»Weißt du, woran er gearbeitet hat?«
»Er wollte mehr über das Skelett mit dem Penisknochen herausfinden. Es ist wirklich ein verdammt komischer Anblick.«
Damit warf er ein paar Fotos auf den Schreibtisch. Sie betrachtete sie.
Es stimmte. Ein komischer Anblick.
»Hat Willner diese Bilder gemacht, als er das Skelett in einem Sarg abtransportierte?«
»Aus der Stora Nygata«, nickte Äkesson.
»Und Paul wollte von zu Hause aus mehr darüber herausfinden, mitten in der Nacht? Internet also. Hast du seinen Computer gecheckt?«
»Er ist nicht in seinem Zimmer, da ist Hjelm gar nicht gewesen. Ich frage mich, ob wir zu ihm nach Hause fahren sollten.«
»Ich habe einen Zweitschlüssel zu seiner Wohnung in Kniv-Söder«, sagte Kerstin Holm. »Aber wir haben hier gerade alle Hände voll zu tun. Ein schwieriger Fall, der kurz vor seiner Lösung steht.«
»Es kann aber sein, dass er tot in seiner Wohnung liegt«, sagte Bengt Äkesson mit Nachdruck.
Kerstin Holm machte eine düstere Miene und sagte nach einer reichlich langen Bedenkzeit: »Okay. Fahren wir hin.«
27
Es war ein ziemlich großer Raum. Mehr wusste er eigentlich nicht. Die Wände waren irgendwie luftig,
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