Dunkelziffer
Strandbergs zog sich ein wenig zusammen, bevor er zu sprechen begann: »Ich habe eine Wohnung in Sollefteä. Ich bin gestern Morgen um neun Uhr hingefahren und heute um halb elf zurückgekommen.«
»Warum haben Sie eine Wohnung in Sollefteä? Sie nutzen sie doch wohl nicht als Praxis? Es dürfte Ihnen ja bewusst sein, dass Ihre Zulassung eingezogen ist.«
»Es handelt sich eher um Beratungen«, sagte Strandberg bissig. »Ich weiß sehr wohl, wo die Grenzen verlaufen. Ich praktiziere nicht.«
»Was tun Sie denn dann?«
»Ich führe psychotherapeutische Beratungen durch. Das darf jeder.«
»Beratungen für angehende Pädophile.«
»Jetzt bewegen Sie sich haarscharf an der Grenze zur Beleidigung. Ich würde Ihnen raten, diese Argumentationsrichtung nicht weiter zu verfolgen.«
»Kann jemand bestätigen, dass Sie zum angegebenen Zeitpunkt dort waren?«
»Ich hatte den ganzen Tag Beratungen«, sagte Strandberg. »Fünf Termine von elf bis sechs Uhr. Einer davon war exakt um ein Uhr.«
»Ein perfekteres Alibi kann man nicht haben«, sagte Ny berg. »Die Namen der Patienten bitte.«
»Nicht bevor es nicht absolut notwendig ist«, lächelte Strandberg.
»Die Schweigepflicht gilt nicht für Quacksalber«, lächelte Nyberg zurück.
»Ich bin länger, als Sie es sich vorstellen können, von der sogenannten Ordnungsmacht schikaniert und gedemütigt worden. Ich betrachte mich inzwischen als immun.«
»Ich brauche eine Bestätigung, dass Sie sich gestern in Sollefteä aufgehalten haben. Ich erwarte, dass Sie mir eine Liste der betreffenden Patienten liefern.«
»Klienten«, sagte Strandberg. »Patienten habe ich nicht mehr.«
»Whatever. Außerdem möchte ich die Liste haben, bevor ich fahre. Und das tu ich in ein paar Minuten.«
»Wollen Sie mich nicht festnehmen und sich ein paar Stunden die Zeit damit vertreiben, das Pädophilenaas zu demütigen?«
»Die Stunden habe ich nicht. Ich muss ein Mädchen finden.«
Einer der Uniformierten kam auf die Veranda heraus und rief: »Wir haben hier etwas.« Nyberg ging zu ihm.
Der Beamte beugte sich vor zu ihm und flüsterte: »Wir haben einen Computer gefunden. Ohne Festplatte. Jemand hat sie herausgenommen«
Nyberg nickte und sagte: »Sucht weiter.«
Er kehrte zu Carl-Olof Strandberg zurück. »Warum ist keine Festplatte in Ihrem Computer?«, fragte er.
Strandberg musterte ihn mit routiniertem Blick und sagte: »Sie ist kaputt. Ich muss mir eine neue kaufen.«
Nyberg fühlte die Wut in sich aufsteigen. Sicherheitshalber wechselte er das Thema. »Die Liste«, sagte er.
»Ich habe nicht die Namen und Adressen aller Klienten im Kopf«, sagte Strandberg. »Es dauert ein bisschen.«
»Okay. Geben Sie den Beamten die Liste, wenn sie fertig sind. Jetzt habe ich eine andere Frage. Kennen Sie einen Sten Larsson? Es ist ein Kollege von Ihnen.«
»Kinderarzt?«
»Pädophiler.«
Carl-Olof Strandberg verzog kurz das Gesicht und sagte: »Nein. Ich kenne keinen Sten Larsson.«
»Er wohnt in einem kleinen Dorf namens Vallsäter. Wissen Sie, wo das liegt?«
»Ja«, sagte Strandberg.
»Ausgezeichnet. Können Sie mir beschreiben, wie ich dorthin komme?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Wenn Sie mir schon keine Liste geben können, dann geben Sie mir wenigstens eine Wegbeschreibung. Betrachten Sie es als eine Demonstration guten Willens. Wenn Sie die Polizei bei ihrer Arbeit unterstützen, verzichtet diese vielleicht darauf, Sie zu schikanieren.«
Strandberg ließ seinen Blick auf Nyberg ruhen. Etwas blitzte darin auf. Dann zuckte er mit den Schultern, sah Nybergs vorgestreckten Notizblock an und sagte: »Na gut, meinetwegen.«
Er nahm Block und Bleistift, legte sie auf die Motorhaube des Polizeiautos und begann zu zeichnen und zu schreiben. Nyberg beobachtete die selbstsichere Gestalt und dachte an all die Menschen, die der Meinung waren, Moral sei nur eine Methode, um die Masse auf dem Teppich zu halten.
Und an das, was in Carl-Olof Strandbergs Blick aufgeblitzt war.
Er schaute zum Fluss hinunter. Dieses ununterbrochene gewaltige Strömen. All diese flüchtigen Oberflächenverschiebungen.
»Hallo, hallo«, sagte Strandberg und wedelte mit dem Block. »Jemand zu Hause?«
»Danke«, sagte Nyberg, nahm den Block und ging zu dem Auto, das auf einer Anhöhe neben Strandbergs silberfarbenem Mercedes geparkt war. Strandberg blieb stehen und sah ihm nach.
Vom Wagen aus rief Gunnar Nyberg ihm zu: »Fangen Sie jetzt an mit der Liste.«
Er stieg ein und betrachtete Strandbergs
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