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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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aus. »Kein Bock.«
    »Jetzt komm schon«, sagte Lena und zog ihn am Arm. Der Körper schien in seine unproportionierten Bestandteile zu zerfallen.
    Er seufzte laut und schlurfte los. Lena nickte kurz zu Sara hinüber, die bei der nicht minder abweisenden Felicia Lunden stand, und folgte Jesper.
    Auf dem Weg zum Wald fragte Lena: »Was hast du gemeint, Jesper, als du gesagt hast, Emily wäre >beleidigt wie immer< gewesen?«
    »Sie war schwierig. Man kam nie an sie ran.«
    »Und dann hast du noch gesagt: >Alle Mädchen wollen sich ja dauernd das Leben nehmen<...«
    »Aber das ist doch so«, brummte Jesper, den Blick zu Boden gerichtet. »Die beschissene ständige Panik dauernd. Cool down, verdammt.«
    »Aber galt das besonders für Emily? Wollte sie sich das Leben nehmen?«
    »Dass sie ein Spaßvogel war, kann man jedenfalls nicht behaupten, verdammt«, sagte Jesper in einem Ton, der nicht zu weiteren Fragen einlud, und bog die ersten Zweige zur Seite.
    Der Wald wurde tatsächlich immer dichter, je tiefer sie eindrangen. Dann und wann verschwand das modisch tief hängende Jeanshinterteil zwischen Tannenzweigen und Kiefernästen, tauchte aber wie ein zuverlässiger Wegweiser rechtzeitig wieder auf. Das Sonnenlicht sickerte zwischen den dicht wachsenden Stämmen herein. Diagonale Bänder von Licht schienen sich zu überlagern, und im Innern dieser Bänder wirbelte es von aufgescheuchten Insekten. Außer ihren eigenen Schritten waren kaum Geräusche zu hören, nur dann und wann das Bellen eines Hundes und das ununterbrochene Surren der Insekten.
    Lena Lindberg war eine echte Großstadtpflanze. In der Stockholmer Innenstadt geboren und aufgewachsen, hatte sie über die Jahre höchst rudimentären Kontakt mit der Natur gehabt. Das spürte sie jetzt.
    Außerdem war sie fünfunddreißig Jahre alt, >der Mitte unsrer Lebenswandrung nahe<.
    In ihr breitete sich etwas aus. Nicht Angst - das wäre übertrieben -, aber ein Unbehagen, ein Gefühl von entgleitender Kontrolle.
    Sie hatte in den letzten Jahren ein hohes Maß an Selbstkontrolle üben müssen. Bis sie Geir traf, einen zwanzig
    Jahre älteren ehemaligen Militär aus Langoya in Westnorwegen, der inzwischen Sicherheitsbeauftragter einer Bank war.
    »Du bist wie ein Dampfkochtopf«, hatte er gesagt, als sie vor gut einem Jahr in einem Restaurant in Gamla Stan gesessen hatten. Es war ihr zweites Treffen, und sie fühlte sich in seiner Gegenwart merkwürdig ruhig. Es war ein ganz neues Gefühl.
    »Dampfkochtopf?«, fragte Lena und spielte die Erstaunte.
    »Du wirst gewalttätig, wenn du keinen Druck ablassen kannst. Ich weiß, wie es ist. Glaub mir.«
    »Ich glaube dir«, sagte Lena und fühlte, wie dämlich sie lächelte. »Hast du einen Vorschlag?«
    Geir legte das Besteck hin, fixierte sie mit seinem granitgrauen Blick, nahm ihre Hand in seine pergamenttrockenen Hände und sagte: »Vertraust du mir?«
    Sie sah ihm in die Augen und nickte. Aufrichtig. Es war lange her, dass sie jemandem vertraut hatte. Sie hatte der Einsatzbereitschaft der Citypolizei angehört, und hinter einer Fassade von Kumpelhaftigkeit hatte sie einen viel zu großen Teil ihres Erwachsenwerdens der Misshandlung von Drogenabhängigen und Straßenganoven gewidmet. Das hatte sie einsam gemacht - auch wenn sie selbst es unabhängig nannte. Als sie befördert wurde und in der A-Gruppe landete - es war im Vergleich zu ihrer bisherigen Arbeit das Himmelreich -, spürte sie mehr und mehr das Bedürfnis, sich anderen Menschen zu nähern, vorzugsweise den neuen Kolleginnen Sara Svenhagen und Kerstin Holm. Und durch sie Männern. Nicht nur Männern als gelegentlichen Partnern - One-Night-Stands waren ihr ganzes Liebesleben, ihr ganzes Gefühlsleben -, sondern Männern als Menschen, mit denen man sprechen und auf die man sich verlassen konnte. Sie hatte es getan - und hatte sich die Finger verbrannt. Gebranntes Kind. Der Deckel wurde wieder zugeschraubt, und der Druck stieg. Nur Paul Hjelm, der König der Internermittler, hatte verhindert, dass sie wegen einer ziemlich schweren Misshandlung suspendiert wurde. Doch das konnte den Druck nur vorübergehend daran hindern, weiter zu steigen.
    Sie wusste, dass Geir recht hatte und dass sie ihm vertrauen musste. Sie nickte noch einmal.
    Während der Wanderung durch die Stadt erlebte sie - von Erwartung und Neugier erfüllt - ein ekstatisches Gefühl schwindender Kontrolle.
    Der Wald öffnete sich zu einer Lichtung.
    Der in den Knien hängende Hosenboden wandte sich um

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