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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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erkennen.«
    Keine Antwort, von John Philip Sousas Marsch abgesehen. Und die Antwort blieb ziemlich gedämpft.
    Möglicherweise hätten sie sich auffächern sollen, um eine größere Fläche abzudecken, aber sie taten es nicht. Es schien ihnen nicht die Situation dafür zu sein, einander aus den Augen zu lassen. Im Gegenteil, sie blieben sehr dicht zusammen, als wären sie ein einziger Körper gegen den Wald.
    Der Klingelton verschwand. Nyberg rief wieder an.
    Der Marsch änderte abrupt den Charakter. Zuvor war es möglich gewesen, sich eine Vorstellung davon zu machen, aus welcher Richtung die Töne kamen, aber jetzt war das unmöglich. Obwohl der Ton stärker war als zuvor. Sie überlegten, warum.
    Schließlich kamen sie darauf.
    Der Ton kam von unten.
    Von unter ihren Füßen.
    Gunnar und Lena reagierten instinktiv. Sie richteten ihre Waffen zum Boden. Als ob die Erde eine Gefahr darstellte.
    Sara ihrerseits steckte die Pistole in das Achselholster und kniete sich auf den moosbewachsenen Boden. Sie begann genau an dem Punkt zu graben, wo der Marsch erklang. Als der Ton verschwand, sagte sie nur: »Ruf noch mal an.«
    Und wieder erklang der Marsch. Immer lauter.
    Lena setzte sich neben sie und grub die Hände ebenfalls in die Erde. Aber sie konnte sie nicht mehr heben, sie steckten fest im lockeren Boden, sie sanken durchs Moos, es gab keinen Grund.
    Das kam ihr bekannt vor.
    »Der Hund hat geniest«, sagte sie und begann neben Sara zu graben.
    »Was?«, sagte Sara.
    »Als ich zuletzt im Wald war, hörte ich einen der Suchhunde so komisch bellen. Jetzt begreife ich, dass er geniest hat. Er hat geniest, weil etwas im Boden war, das ihn dazu bringen sollte zu niesen, statt dies hier zu wittern.«
    »Dies hier?«
    »Wir wissen doch, was hier unten drin steckt, oder?«, sagte Lena Lindberg.
    Und dann waren sie so weit. Jetzt wussten sie es alle drei.
    Sten Larssons Gesicht war ganz friedlich, wahrscheinlich friedlicher, als es im Leben seit sehr, sehr langer Zeit gewesen war. Sara befreite die Gesichtszüge von der Erde. Gunnar reichte ihr ein Taschentuch. Sie nahm es und wischte damit vorsichtig das Gesicht ab.
    John Philip Sousas Marsch verstummte. Sara Svenhagen säuberte das Kinn und wischte tiefer. Als sie zum Hals kam, hielt sie inne.
    Eine gerade schmale Linie lief um den ganzen Hals. Sie fingerte ein bisschen daran herum. Eine Wunde wurde sichtbar. Eine Wunde, die um den ganzen Hals lief. »Emily und ihre Messer«, sagte Gunnar Nyberg heiser.
    15
    Kerstin Holm saß in ihrem Zimmer und versuchte, die Entwicklung der letzten Stunden zu ordnen. Um diese Zeit hätte sie längst zu Hause bei ihrem Sohn sein sollen. Umso besser, dass Anders ein erstaunlich geläutertes Verhältnis zu den Arbeitszeiten seiner Mutter hatte und in der Regel bestens allein zurechtkam.
    Ihr Sohn war ein Schlüsselkind.
    Sie spürte einen kleinen Stich in der Herzgegend, aber da sie sich inzwischen eingestand, dass es in ihrem Charakter Einschläge von Arbeitswut gab, ging es schnell vorbei.
    Die neuen Ergebnisse im Fall der verschwundenen Emily Flodberg erforderten nun einmal ihre ganze Aufmerksamkeit.
    Wie hing das alles zusammen?
    Emily Flodberg, vierzehn Jahre alt, stellt Nacktbilder von sich ins Internet. Sie hat versucht, zu diesem dubiosen Vorhaben Verbündete heranzuziehen, Klassenkameradinnen, aber sowohl Felicia Lunden als auch Julia Johnsson ziehen sich zurück, als die Sache zu heiß wird. Emily zieht ihren Plan durch, sie ist sogar routiniert und mit dem Computer vertraut genug, dass es ihr gelingt, sich für ihre Dienste bezahlen zu lassen, mit Kreditkarten und allem Drum und Dran. Diese Kreditkarteneinnahmen lagen jetzt schwarz auf weiß vor. Die Homepage war im März ins Netz gestellt worden, und seitdem hatte Emily mit ihren Bildern mehr als zwölftausend Kronen eingenommen. Ein zusätzliches Taschengeld, womit sie jedoch, wie sich zeigte, keineswegs allein dastand. Vielmehr schienen sich derartige Aktivitäten unter Mädchen auszubreiten, allerdings unter etwas älteren Mädchen, die die Gelegenheit nutzten, sich mit ihren Körpern etwas Geld hinzuzuverdienen.
    Kerstin Holm hielt bei einem Nebengedanken inne. War es so, dass käuflicher Sex sich in der heutigen Zeit sozusagen als ein völlig natürliches Element etabliert hatte? Die Sexualisierung des öffentlichen Raums - die orgiastischen Aufmacher der Abendzeitungen, die versteckte Pornografie der Dokusoaps -, das war zum natürlichen Teil des Lebens einer

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