Dunkelziffer
Sie kann sie gesehen und sich genau vorbereitet haben. Vielleicht hat sie Johan Richardsson lange präpariert.«
Arto Söderstedt zog eine finstere Grimasse und rekelte sich aus dem Denkerknoten heraus. Er legte die Hände in den Nacken, lehnte sich zurück und sagte: »In diesem Szenario ist Emily Flodberg der Kopf hinter allem. Ein vierzehnjähriges Mädchen, das es fertiggebracht hat, ein gutes Dutzend Unglücksfälle vorzutäuschen, nachdem es einer großen Zahl von Männern mit einer Klaviersaite die Kehle durchgeschnitten hat. In diesem Szenario ist es Emily Flodberg, die unmittelbar nach ihrem Verschwinden nach Stockholm reist und sich daranmacht, weit jenseits der Grenzen ihrer Körperkraft einen ziemlich groß gewachsenen Mann zu enthaupten und den schweren Körper mit baumelndem Kopf auf eine der populärsten Promenaden Stockholms zu schleppen.«
»Nicht gut?«, sagte Kerstin Holm.
»Gar nicht gut«, sagte Arto Söderstedt.
»Vielleicht gibt es überhaupt keine Verbindung«, sagte Viggo Norlander. »Mein Gott, alles, was wir haben, sind zwei Leichen mit durchtrenntem Hals an zwei völlig verschiedenen Orten in Schweden.«
»Aber dass es eine Verbindung gibt, ist doch wahrscheinlich«, sagte Söderstedt. »Da stimme ich völlig zu. Diese mittelalterliche, fast biblische Art, die Leiche zu platzieren - da kann eine so brisante Sache wie Pädophilie der Grund gewesen sein. Die gehört in die Sphäre, wo eine solche Wut ihren adäquaten Platz hat.«
Jetzt war Kerstin Holm an der Reihe, eine Position einzunehmen, die zumindest vage an die eines Denkers erinnerte. Sie schlug die Beine übereinander und drehte den einen Unterschenkel um den anderen, sodass sie gewissermaßen einen Knoten bildeten. »Vielleicht ist Emily nicht allein.«
»Ich habe daran gedacht«, sagte Viggo Norlander. »Kann man wirklich so eine Homepage mit Zahlungsmöglichkeit und allem auf die Beine stellen, ohne volljährig zu sein? Ist sie ein Köder?«
Söderstedt und Holm starrten ihn an.
»Habe ich etwas Dummes gesagt?«, fragte Norlander mit unerwarteter Unsicherheit.
»Nein«, sagte Söderstedt. »Du hast etwas Kluges gesagt. Deshalb sind wir so schockiert.«
»Köder?«, sagte Kerstin Holm. »Ein großer, starker, erwachsener Mann hat beschlossen, so viele Pädophile wie möglich zu vernichten - er ist vielleicht ein Opfer -, aber er braucht Hilfe. Er braucht Hilfe, um Täter anzulocken. Emi ly ist vielleicht schon lange als Köder aktiv gewesen. Sie ist es, die den Kontakt aufnimmt, sie stellt sich selbst als sexinteressierte kleine Nymphomanin dar, die massenweise Pädophile anzieht.«
»Verdammt«, sagte Söderstedt. »Das ist ja eine dreistufige Rakete. Er ist seit acht Monaten aktiv. Schritt eins war, als er die Idee hatte und seine Säuberungsaktion vorbereitete. Ein paar Monate später kam sie mit ihrer Homepage ins Bild, als ihm allmählich klar wurde, wie er am besten Pädophile anlocken konnte - Schritt zwei. Nach der eleganten Zusammenarbeit in den Wäldern von Ängermanland ist es Zeit für Schritt drei. Jetzt geht es um klassische Abschreckung. Hinauf mit der Leiche auf das Podest als Demonstration für alle Pädophilen. >Ihr seid in der Gefahrenzone, ihr Teufel. Haltet Ruhe, dann geschieht nichts.<«
»Da stimmt etwas nicht«, sagte Kerstin Holm plötzlich.
»Was?«, sagte Söderstedt.
»Wir vergessen etwas, nämlich den eigentlichen Ausgangspunkt: Wo ist Emily Flodberg geblieben?«
»Ihre Rolle ist ausgespielt, sie ist untergetaucht.«
»Aber warum? Das wäre ein riesiger, ein schrecklicher Schritt für eine Vierzehnjährige, auch wenn sie ein sehr ungewöhnliches Kind ist. Warum sollte sie ihre Mutter und ihr gewohntes Leben verlassen? Es wäre doch einfacher gewesen, Sten Larsson anzulocken und, während der Komplize ihn umbringt, in aller Ruhe auf den Hof zurückzukehren?«
Arto Söderstedt zog wieder eine Grimasse. Oder schnitt nur ein Gesicht. Wie vor Schmerz. »Mist«, sagte er. »Es fing so gut an.«
»Außerdem scheint es ja so, dass sie nur mit Sten Larsson Kontakt hatte«, streute Kerstin Salz in die Wunde. »Die beiden anderen, der leicht infantile Robert Karlsson und der viel schlimmere Carl-Olof Strandberg, mit denen ist offenbar gar kein Kontakt aufgenommen worden.«
»Vielleicht haben sie gedacht, sie könnten ihnen den Hals umdrehen, wenn sie erst mal vor Ort sind«, sagte Norlander. »Die Adressen aus Sten Larsson herausfoltern, und dann los mit klingender Klaviersaite.«
Kerstin
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