Dunkelziffer
über das Handy.«
»Ja, was meint ihr?«, fragte Holm geradeheraus. »Was ist in diesem verdammten Wald passiert?«
»Wie tief ist die Wunde?«, fragte Söderstedt.
Kerstin Holm blätterte in einem Papierstapel auf ihrem Schreibtisch. »Tief, aber nicht so tief, wie du meinst. Nicht zu vergleichen mit den beiden Schnittflächen des durchtrennten Halses. Aber auf der Stelle tödlich.«
Söderstedt nickte, streckte die Beine unter Holms Schreibtisch aus und sagte: »Was wir entdeckt haben, ist nämlich eine in den letzten sieben, acht Monaten ziemlich drastisch gestiegene Anzahl von verdächtigen Todesfällen mit schweren körperlichen Schäden im Bereich von Stockholm. Fälle, bei denen die beiden Schnittflächen des durchtrennten Halses vertuscht werden konnten. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl ziemlich konstant geblieben. Aber seit ungefähr acht Monaten hat sich die Anzahl extremer tödlicher Verletzungen und Verbrennungen fast verdoppelt. Verdächtig viele einsame Männer haben ihr Auto gegen eine Felswand oder in einen Abgrund gesteuert, und ein bisschen zu vielen ist es gelungen, an einsamen Plätzen zu verbrennen. Ich denke also, wir haben es mit einer Art gezieltem Serienmord zu tun. Und in mindestens fünfzehn Fällen ist es vorstellbar, dass die Spuren einer durchschnittenen Kehle verwischt werden sollten - jedoch ohne dass das Leben eines anderen riskiert wurde.«
»Hm«, sagte Kerstin Holm. »Es ist also kein Verrückter, den es nicht kümmert, wenn ein paar andere Leute mit dra uf gehen?«
»Kein Verrückter«, sagte Söderstedt. »Und auch keiner, der Unschuldige opfert. Nimmt lieber etwas zu viele verdächtige Todesfälle in Kauf, als zu riskieren, dass Unschuldige zu Schaden kommen.«
»Unschuldige?«
»Wenn wir recht haben und es sich um denselben Täter handelt, einen, der einem groß gewachsenen Mann in den besten Jahren mit einer Kraft, die eine deutliche Sprache spricht, die Kehle mit einer Klaviersaite durchgeschnitten hat - wenn alle diese verdächtigen Todesfälle mit schweren körperlichen Schäden das Werk dieses einen Mannes sind, dann betrachtet er seine Opfer ohne Zweifel als schuldig. Schuldig an etwas uns Unbekanntem.«
»Gibt es etwas Verbindendes zwischen diesen möglichen Mordopfern?«
»Wir haben gerade erst die Fakten beisammen«, sagte Viggo Norlander. »Es handelt sich ausschließlich um erwachsene Männer. Weiter sind wir nicht gekommen.«
»Kein Fall außerhalb von Stockholm?«
»Da ist die Statistik unsicherer«, sagte Söderstedt. »Wir haben uns zunächst auf Stockholm konzentriert. Unser Opfer ist mitten in der Stadt am Monteliusväg als Blickfang platziert worden. So als sollte gerade Stockholm auf ihn schauen und von weiteren Sünden abgeschreckt werden.«
»Ebenso gut sollte vielleicht Schweden hinschauen«, sagte Holm. »Oder Europa. Oder die Welt. Aber auf jeden Fall hat sich der Modus Operandi geändert. Das meinst du doch?«
»Unter anderem, ja«, sagte Söderstedt. »Etwas ist passiert. Er will sich nicht mehr verstecken. Er geht von der finstersten Scheu vor dem Licht zur taghellen Entblößung über. Warum?«
Kerstin Holm lehnte sich zurück und sagte: »Weil er in Ängermanland gewesen ist?«
Es war eine Weile still in dem vorher so lebhaften Raum.
Schließlich sagte Viggo Norlander: »In diesem Falle reden wir von Pädophilen...«
»Der Gedanke ist mir gekommen«, sagte Kerstin Holm leise.
Arto Söderstedt zog seine Beine an und beugte sich in einer seltsamen Denkerpose vor, die an die Picassoversion von Auguste Rodins klassischer Skulptur >Der Denker< erinnerte. Er sagte: »Aber wie passt Emily Flodberg ins Bild?«
»Helft mir, das herauszufinden«, sagte Kerstin Holm.
»Sie lockt mit Nacktbildern im Internet Pädophile an«, sagte Söderstedt in seiner hockenden Position. »Einer, der Kontakt mit ihr aufnimmt, heißt Sten Larsson und wohnt in Saltbacken. Vielleicht deutet er an, dass es noch andere gibt, die Interesse haben könnten, sie in der Nachbarschaft zu treffen. Aber das ist ja alles sehr weit weg, da draußen im schlimmsten Urwald. Anderseits rückt die Zeit näher, dass die Klasse auf Klassenfahrt geht. Sie ist ja ein gerissenes Mädchen, sie verführt einen armen Jungen und bringt ihn dazu, die Idee mit Saltbacken ins Gespräch zu bringen.«
»Die Annonce hat tatsächlich ein paar Wochen im Netz gestanden, bevor sie in der Presse auftauchte«, nickte Holm. »Es hieß, sie würde auch bald in Dagens Nyheter erscheinen.
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