Dunkle Beruehrung
hat Angela aber kein Wort gesagt«, erwiderte Caleb sanft. »Nur, dass Farley verhaftet wurde.«
Jessa wartete etwas zu lange, ehe sie antwortete. »Die Frau ist kürzlich von New York nach Atlanta gezogen. Da ist es logisch anzunehmen, dass das FBI sie wegen Verbrechen sucht, die sie in anderen Bundesstaaten begangen hat.«
»Gut gekontert.« Er nickte beifällig. »Nur nehme ich es Ihnen diesmal nicht ab. Sie wussten all das schon gestern.« Er taxierte sie. »Sie wussten es, und ich wette, Sie waren es, die beim FBI angerufen und sie angezeigt hat.«
Niemand wusste von Jessas Fähigkeiten, und so gern sie ihre Mitarbeiter mochte, durften sie das auch nicht wissen.
»Setzen Sie sich, Cal.« Sie wartete, bis er Platz genommen hatte. »Mir ist klar, dass Angela und einige junge Angestellte mich für eine Art Hellseherin halten. Das ist vermutlich schmeichelhaft, aber das bin ich nicht, und das muss aufhören. Ich habe Phoenix auf seriöser, ethisch tadelloser Ermittlungsarbeit aufgebaut. Falls Leute Gerüchte verbreiten, ich könne die Zukunft oder die Vergangenheit sehen oder so, dann spricht sich das herum, und demnächst rennt uns hier jeder Scharlatan von Atlanta die Türen ein.«
»Wäre es so schlimm«, fragte er, »die Leute wissen zu lassen, wie gut Sie darin sind, Betrügereien aufzudecken?«
»Wenn sie denken, da sind rätselhafte mentale Kräfte am Werk? Oh ja!«, erwiderte sie. »Das wäre
sehr
schlecht für das Geschäft. So etwas vertreibt die seriöse Kundschaft. Und wenn die Scharlatane merken, dass ich ihnen gar nicht sagen kann, welche Aktien sie kaufen und welche Investitionen sie tätigen sollen, verschwinden die auch. Dass Farley verhaftet wurde, kaum dass ich festgestellt hatte, dass sie sich einer falschen Identität bedient, ist reiner Zufall.«
»Tatsächlich?« Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn. »Ich frage mich, wie viele von den Leuten, die Phoenix durchleuchtet hat, wohl zufällig kurz darauf wegen Verbrechen verhaftet wurden, bei denen sie ungeschoren davongekommen zu sein glaubten?«
Er war einfach zu schlau. Jessa hatte es von Anfang an gewusst. »Das kann ich nicht sagen. Aber Sie und Angela und die anderen Kollegen arbeiten für mich. Ich kann solches Gerede über mich nicht dulden, Cal. Nicht mal zum Spaß.«
»Dann sollten Sie von nun an einiges ändern«, erwiderte er. »Geben Sie Aufgaben ab. Lassen Sie auch mich Recherchen übernehmen. Falls Sie den Behörden etwas zu melden haben, warten Sie damit ein, zwei Wochen.«
Er glaubte ihr nicht, und sie hatte langsam keine Lust mehr auf Lügen. Außerdem war sie am Ende ihrer Geduld. »Vielleicht sollte ich Sie einfach rauswerfen.«
»Das könnten Sie tun«, pflichtete er ihr bei. »Aber ich bin auf Ihrer Seite, und ich muss nicht alles wissen. Sie sind die beste Chefin, die ich je hatte, besser sogar als mein Vater, der mich als Sommerferienjob die reichen, heiratsfähigen jungen Dinger aus dem Country Club, dessen Geschäftsführer er war, im Tennis unterrichten ließ.«
»Caleb«, sie stützte die Wange in die Hand, »Sie sind nicht hilfreich.«
»Sie wissen, wie wir zu Ihnen stehen«, fuhr er fort. »Mich haben Sie eingestellt, nachdem mich jede anständige Firma dieser Stadt abgelehnt hatte. Sie haben die Mädchen aus der Buchhaltung überredet, das Wettbüro zu verlassen, in dem sie damals arbeiteten und dessen Leiter nur eine Woche später verhaftet wurde.«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ein Freund hat mir von ihnen erzählt. Ich habe ihnen nur die Chance gegeben, legale Jobs zu bekommen.«
»Karen sagt, Sie haben sie in einem Lebensmittelladen angesprochen, ihr einen Job angeboten, für den sie nicht ausgebildet war, und ihr einen Vorschuss aufs erste Gehalt gegeben – als habe Gott gewusst, dass sie dort Essen für ihre Kinder stehlen wollte, und Sie als Schutzengel gesandt, um sie aufzuhalten. Und dann die arme Angie.« Er beugte sich vor. »Von welchem Dach der Innenstadt wollte sie nach dem Tod ihrer Mutter springen? Von dem der Bank of America?«
Jessa straffte sich. »Das hat Angela Ihnen nicht erzählt.«
»Jemand hat über das tolle zwanzigjährige Supermodel gewitzelt, das letztes Jahr in New York gesprungen ist«, gab er zurück. »Angie ist vor Wut fast geplatzt. Später habe ich sie gefragt, warum sie sich so aufgeregt hat, und sie sagte, niemand könne verstehen, wie elend und verzweifelt dieses Mädchen sich gefühlt haben müsse. Angie wusste offenkundig, wovon sie
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