Dunkle Beruehrung
einer anderen Kolonie.«
»Wir sind seit über zweihundert Jahren keine Kolonien mehr, und ich reise nur nach Georgia, um einen Gefangenen zu überführen.« Sie zeigte auf ihn. »Du plusterst dich auf, als wollte ich mit einem Soldaten nach Aruba durchbrennen.«
»So dumm bist du nicht.« Ihr PC ploppte mehrmals, dann ging der Monitor aus. »Es gibt etwas an diesem Fall, das du mir verschweigst. Warum?«
»Hör auf.« Sie drückte die Hände gegen seine Brust und wollte ihn wegschieben. Das wäre mit einer Ziegelmauer eher gelungen. »Hör einfach auf. Du sollst deinen Willen haben. Ich sorge dafür, dass jemand anderer für mich hinfliegt.«
»Samantha.«
»Er war der Erste, den ich mit meiner Begabung gesehen habe«, rief sie. »Zufällig berührte ich das Blut des Opfers, und da traf mich die Vision. Eben noch hatte ich den Toten gemustert, und plötzlich sah ich die letzten Stunden seines Lebens vor mir. Es war ganz real, als wäre ich in die Vergangenheit zurückversetzt, um Zeuge zu sein. Ich habe jeden Moment seines Leidens miterlebt, Lucan, ich habe diesen Jungen weinen und flehen sehen. Max hat ihn geschlagen, von hinten genommen und erwürgt. Und er hat sich Zeit gelassen. Genossen hat er es. Das ist seine Lieblingsrolle. Nicht mal Geld verschafft ihm so ein Hochgefühl. Nach seinem Entkommen hatte ich wegen Bobby jahrelang Albträume.« Sie schlug ihm die Faust gegen die Brust. »Bist du jetzt zufrieden, ja?«
Lucan nahm ihre Rechte und zog die vernarbte Handfläche an seine Lippen. »Das war mir gar nicht klar.« Er küsste ihre Hand, dann Stirn, Lider und Nasenwurzel und schloss sie schließlich in seine starken Arme. »Verzeih mir.«
Sam hielt sich an ihm fest und stand sanftmütig und ruhig da, während er ihr durchs Haar strich. Er wusste: Die alten Wunden, die sie aus ihrem Menschenleben herumtrug, waren so tief und quälend wie seine. Des Leidens wegen, das sie beide gesehen und erfahren hatten, verstand Lucan sie so gut wie niemand sonst. Manchmal, wenn sie zornig war, vergaß sie, wie ausgezeichnet er sie verstand.
»Ich bin eine Idiotin«, sagte sie in sein Hemd hinein.
»Du bist beunruhigt.« Er hob ihr Kinn, damit sie ihn ansah. »Ich erlaube dir zu reisen, Samantha – aber nicht allein.«
»Er kann mir nichts tun.« Selbst sie merkte, wie erschöpft sie klang. »Er ist bloß ein Mensch.«
»Nicht die Fänge machen das Ungeheuer, Liebste.« Lucan schob ihr Gesicht an seinen Hals und setzte das Kinn auf ihren Kopf. »Aber solange ich dein Herr und Meister bin – also bis ans Ende der Ewigkeit –, lasse ich nicht zu, dass du solchen Albträumen allein entgegentrittst. Und jetzt hör auf zu schluchzen. Du hast mir versprochen, nicht mehr zu weinen.«
Sam wusste, dass sie sich an Bräuche und Gesetze der Darkyn halten musste, die in dunkle Vorzeit zurückreichten. Und das hieß auch, Lucan zu gehorchen. Aber ihr Geliebter gab ihr mehr Spielraum als jeder andere Herr der Kyn – vor allem, weil er Verständnis für ihre Berufung besaß. Sechshundert Jahre lang hatte er für die Darkyn das Gleiche getan wie sie heute, obwohl kein von ihm gefasster Killer lange genug gelebt hatte, um wegen seiner Verbrechen vor Gericht zu landen.
»Wie lange wird es dauern?«, fragte er.
»Zwei Tage«, versprach sie ihm. »Höchstens drei – ich schwör’s.«
Ihr war klar, worum sie ihn da bat. Neben seiner Gier, sie zu besitzen, gab es ein noch dringenderes Erfordernis, warum sie in Fort Lauderdale bleiben sollte: ihren Bund. Seit Lucan ihr das Leben gerettet hatte, indem er sie zu einer Darkyn machte, waren sie nie länger als acht Stunden getrennt gewesen. Der Bund, der sie lebenslange Partner sein ließ, war duldend und fordernd zugleich. Sam war sich noch immer nicht gewiss, ob sie in vollem Umfang verstand, was es bedeutete, seine
Sygkenis
zu sein, doch im Laufe der Zeit hatte sie begriffen, dass sie körperlich zusammenbleiben mussten, um zu überleben – so wie Menschen dafür Wärme, Unterkunft und Nahrung brauchten.
Auch hatten andere Kyn-Frauen Sam vor dem gewarnt, was passieren würde, wenn sie Lucan verließe. Eine längere Trennung würde beide erst geistige, dann körperliche Entzugserscheinungen durchmachen lassen. Und blieben sie zu lange getrennt, würde einer von ihnen oder würden beide die Kontrolle über sich verlieren, wahnsinnig werden und in diesem Zustand alles umbringen, was ihm oder ihnen begegnete.
»Übermorgen bin ich zurück«, sagte sie. »Ich
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