Dunkle Beruehrung
redete.«
»Ich helfe Menschen gern, vor allem, wenn sie Probleme haben«, erwiderte Jessa fest. »Das macht mich nicht zu einer Hellseherin.«
»Warum haben Sie dann mich angestellt? Niemand glaubte, dass die Verkaufsleiterin, die mir sexuelle Belästigung vorwarf, in Wirklichkeit mich belästigt hat.« Er breitete die Arme aus. »Niemand außer Ihnen.«
»Sie sind ein attraktiver junger Mann mit Geschmack, Cal, und sie war eine verzweifelte ältere Frau mit lausigen Zähnen.« Sie lächelte schwach. »Sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz geschehen nicht aus heiterem Himmel. Sie hatten nie zuvor eine Frau belästigt, Cal, und sie bestand darauf, nur männliche Assistenten einzustellen. Ich habe bloß eins und eins zusammengezählt.«
»Diese Gleichung hätte selbst Einstein nicht lösen können«, versicherte er ihr. »Jessa, ich glaube, ich würde für Sie durchs Feuer gehen, wenn Sie es von mir verlangten – genau wie Angie und alle anderen.« Er streckte die Hand über den Tisch aus.
Jessa zuckte unwillkürlich zusammen und wich zurück.
»Warum scheut eine warmherzige Frau wie Sie jede Berührung?«, fragte er.
Ihr Zorn wollte antworten, denn einen Monat nach seiner Einstellung hatte sie ihn zufällig beim Entgegennehmen eines Formulars mit den Fingern berührt und im
Zwielicht
sofort entdeckt, dass er Angela heimlich begehrte. Sie hatte seine verborgensten Fantasien gesehen, die alle um die Vorstellung kreisten, das Mädchen zu verführen und dazu zu bringen, sich ihm bewundernd zu unterwerfen. Calebs geheime Vorliebe für Fesselspiele war nicht der einzige Schatten auf seiner Seele. Wenn er mit Frauen schlief, löschte er stets das Licht. Seine Partnerinnen ahnten nicht, dass er sich so besser vorstellen konnte, sie wären Angela.
»Scheiße! Genau das ist es, stimmt’s?«, hörte sie ihn sagen. »Das Berühren der Menschen. Sie geben jenen, denen Sie nicht trauen, immer die Hand.«
Das Licht der Gegensprechanlage leuchtete auf, und erleichtert meldete sie sich.
»Jessa, ein Mr Bradford Lawson von GenHance möchte Sie auf Leitung drei sprechen«, sagte ihre Telefonistin.
Sie hatte keine Ahnung, wer Bradford Lawson war, aber von seiner Firma hatte sie gehört – wie alle Geschäftsleute in Atlanta.
»Danke, Karen, ich gehe dran.« Sie sah Caleb an.
Er lächelte. »Bin ich jetzt gefeuert?«
»Nein.« Sie war kurz davor gewesen, etwas zu enthüllen, das sie zehn Jahre lang verborgen hatte, und trotz des Eindrucks, Caleb trauen zu können, musste sie sich sammeln. »Lassen Sie uns ein andermal darüber weiterreden.« Als er aufstand, um zu gehen, setzte sie hinzu: »Caleb, ich weiß Ihre Sorge zu schätzen.«
»Nein, tun Sie nicht, aber ich sorge mich trotzdem.« Noch immer lächelnd verließ er das Zimmer.
Sie atmete die Luft aus, die sie angehalten hatte, und nahm den Hörer ab. »Guten Morgen, hier Jessa Bellamy.«
»Ms Bellamy – Bradford Lawson von GenHance«, meldete sich eine angenehme Tenorstimme. »Tim Baker von Nolan, Hill & Suskin hat mir Ihre Firma empfohlen.«
»Das war sehr liebenswürdig von ihm.« Jessa erinnerte sich ihrer Arbeit für Tim Baker, der drei Anwaltsgehilfinnen zu Bewerbungsgesprächen eingeladen hatte, von denen eine sich als Spitzel einer konkurrierenden Kanzlei erwies. »Wie kann ich Ihnen helfen, Mr Lawson?«
»GenHance erweitert seine Forschungen im Südosten«, sagte er. »Dadurch werden binnen dreier Monate hier in der Stadt etwa vierzig neue Arbeitsplätze in der Biotechnologie geschaffen – und etwa zweihundert Stellen in unseren Zulieferbetrieben. Unsere Geschäftssparte erfordert seit je eine gründliche Durchleuchtung der Vorgeschichte unserer Bewerber und die Überprüfung sämtlicher Zeugnisse derer, die wir einstellen wollen. Bisher haben wir das im eigenen Haus geregelt. Der neue Abschnitt unserer Geschäftstätigkeit aber ist recht heikel. Um unsere Forschungen nicht zu gefährden, hat unser Chef beschlossen, eine unabhängige Firma wie Phoenix mit der Durchleuchtung der Bewerber zu betrauen.«
»Ich würde diesen Auftrag gern annehmen, aber ich muss realistisch sein«, gab Jessa zu bedenken. »Wir sind eine kleine Firma, und zweihundertvierzig Überprüfungen lassen sich nicht über Nacht erledigen. Meine Mitarbeiter brauchen mindestens zwei Wochen, vielleicht auch drei – das hängt davon ab, wie verfügbar die Bewerber zum Gespräch sind, aber auch davon, welche Informationen wir überprüfen sollen.«
»Ich weiß Ihre Offenheit zu
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