Dunkle Beruehrung
schätzen«, erwiderte er, »aber wir suchen eine dauerhafte Lösung. Wenn wir uns einig werden, lässt GenHance in Zukunft sämtliche Neueinstellungen von Phoenix begutachten. Ich habe hier die geplanten Zahlen …« Im Hintergrund raschelte Papier. »Ungefähr fünftausend neue Stellen im Laufe der nächsten zwei Jahre. Sind Sie und Ihre Leute dieser Herausforderung gewachsen?«
Jessa dachte rasch nach. Sie müsste neue Rechercheure anstellen, mindestens zehn, um so viel Arbeit zu bewältigen. Aber genau darauf hatte sie hingeschuftet, und mit dem richtigen Vertrag würde das GenHance-Geschäft es ihrer Firma ermöglichen, exponentiell zu wachsen. »Das denke ich schon, Mr Lawson.«
»Ausgezeichnet. Ich würde mich gern mit Ihnen treffen, um weitere Einzelheiten persönlich zu besprechen. Was haben Sie morgen Mittag vor?«
Sie sah in ihren Kalender, doch der nächste Tag war zum Glück mittags noch nicht verplant. »Es sieht so aus, als würde ich mich mit Ihnen treffen.«
Er lachte leise. »Passt es Ihnen um eins im
Cecile’s
?«
Er hatte das beste französische Restaurant der Stadt ausgewählt, wo man gewöhnlich Monate im Voraus reservieren musste. »Sehr gern. Wir sehen uns also morgen Mittag.«
»Ich freue mich darauf.«
Kaum hatte Jessa Bellamy ihr Telefonat beendet, nahm Rowan Dietrich ihr Headset ab, fluchte mächtig und rief Drew unter seiner Privatnummer an.
»Mom«, meldete er sich spaßhaft in kindlich-nörgeligem Ton, »ich hab dir doch gesagt, du sollst mich im Büro nicht mehr anrufen.«
»Warte nur, bis Vater nach Hause kommt«, spann Rowan Drews Scherz im strengsten Elternton fort. »Der wird dir den Hintern versohlen.«
»Entzückend.« Es rauschte kurz in der Leitung, als Drew seinen Datenverschlüsseler einschaltete. »Alles klar. Ist sie es?«
Sie hätte lügen und die Frage verneinen können, und Drew hätte ihr geglaubt. Und sie hätte gern gelogen. Aber die Sache lag nicht mehr in ihren Händen. »Ja. Sie soll morgen Mittag im
Cecile’s
entführt werden. Um eins.«
»So früh?« Er atmete durch die Zähne ein. »Vielleicht sollten wir uns das noch mal überlegen.«
»Da gibt es nichts zu diskutieren, Andrew«, fuhr sie ihn an. »Die wollen sie haben, wir schnappen sie uns. Das ist unser Job – dein Job, sofern du nicht kneifst.«
Sein Ton wurde sachlich. »Gibt’s sonst noch was?«
»Einen Platz gleich neben mir, wenn wir dafür in der Hölle schmoren – sonst eigentlich nichts.« Sie knallte den Hörer auf die Gabel.
Vor allem, um von der Telefonanlage wegzukommen, ging sie nach oben und strich über die dunklen Flure. An guten Tagen konnte sie stundenlang durch die Zimmer streifen, die herrlichen alten Dinge darin betrachten und sich vorstellen, wie es gewesen sein mochte, hier zu leben. War Matthias verreist, schlüpfte sie mitunter in eines der alten Abendkleider, die sie auf dem Dachboden entdeckt hatte, und servierte sich im Taubenzimmer Tee.
Wenn das Sonnenlicht dann durch das Blau, Weiß und Grün der Glasmalereien fiel, die die Sichtfenster rahmten, konnte sie ihre Vergangenheit vergessen und eine Dame spielen, die nicht wusste, wie es war, auf einer Parkbank zu schlafen, sich auf einer öffentlichen Toilette zu waschen oder an der Hintertür eines Restaurants um Küchenabfälle zu betteln. Niemand, der sie ansah, ahnte etwas von den Tätowierungen unter ihren langen, zarten Seidenärmeln oder von den Narben an ihrem ganzen Körper. Keiner wäre auf die Idee gekommen, dass sie Abschaum gewesen war.
Gewohnheitsmäßig vergewisserte sich Rowan, dass Fenster und Türen geschlossen waren, und ging dann in die Garage. Sie durfte eigentlich nicht weg, wenn sie die Stellung allein hielt, doch sie ertrug die Stille nicht und wusste, dass sie nicht schlafen würde – nicht nach diesem Anruf.
Sie stieg in ihren Jeep und bog auf die Nebenstraße hinter dem Haus ein. Von dort war es eine Viertelstunde zu ihrer Lieblingskneipe, dem
Weeping William’s
, wo sie dicken Touristen aus dem Halbdunkel bei einer lausigen Partie Billard zusah.
Der Barmann, ein alter, hagerer Hüne mit kaffeebrauner Haut, brachte ihr eine Kirschlimonade und eine kleine Schale Salzgebäck. Auf der linken Wange hatte er ein langes, dünnes Muttermal, als würde er schwarze Tränen weinen. »Wo warst du, Mädchen?«
»Arbeiten.« Sie trank einen Schluck Limonade und sah kurz zum Fernseher über der Theke, wo ein Footballspiel übertragen wurde. »Wie schlägt das Team sich dieses Jahr?«
»Die
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