Dunkle Beruehrung
Eine Frage war noch offen, und sie würde sie stellen müssen. Sie sah zu Deborah hoch. »Warum haben Sie mich aufgenommen?«
Die alte Dame schien sich unbehaglich zu fühlen. »Das weißt du doch. Wir brauchten eine Haushälterin und du ein Zuhause.«
»Das ist nett, aber ich weiß, was ich Ihnen an dem Tag angetan habe, an dem wir uns begegnet sind.« Rowan holte tief Luft. »Wie hieß sie? Das Mädchen, das Sie liebten?«
Deborah legte die Hand an die Kehle, und ihr Gesicht schrumpelte zusammen wie ein altes Papiertaschentuch. »Mary Margaret O’Brien. Sie hat nie … Ich habe es ihr nie gesagt.« Reue trübte ihre Augen. »Sie war nicht wie ich, also hatte es keinen Sinn. Sie hat sehr jung geheiratet und starb bei der Entbindung. Das brach mir das Herz.«
»Ich wollte das nicht«, sagte Rowan. »Ich war einfach so hungrig. Erst später begriff ich, was ich getan hatte, und hätte gehen sollen. Aber Sie und Annette waren so nett, und ich war einsam und ängstlich …« Nun war sie es, die die Scham überschwemmte. »Es tut mir so leid.«
»Aber nicht doch.« Deborah lächelte wehmütig. »Es war wunderbar, ihr Gesicht wiederzusehen. Erst als Annette und ich dich im Schlaf belauschten, begriff ich, was geschehen war. Rowan, kannst du … kannst du das … für jeden tun?«
»Nur für Männer.« Sie verzog das Gesicht. »Ich meine – nur für jemanden, der eine Frau geliebt hat. Ich kann nur eine Frau sein.«
Deborah streckte ihr die Hand entgegen. »Würdest du einer alten Frau dann einen letzten Gefallen tun?«
Rowan nahm behutsam ihre Hand und schloss die Augen. Sie hatte ihre Begabung noch nie vor jemandem genutzt, der davon wusste – nicht einmal, als sie angeschrien, bedroht und verprügelt worden war. Sie hielt den Atem an und spürte, wie ihre Haut sich spannte und bewegte, während sich ihre Umrisse allmählich veränderten. Ihr kurzes, dunkles Haar verwandelte sich in wuschelige, fuchsrote Locken, und als sie die Lider öffnete und Deborah ansah, tat sie das durch die grasgrünen Augen von Mary Margaret O’Brien – wie einen Moment lang damals, als sie Deborah bei der Kirchenspeisung kennengelernt hatte.
»Genau wie ich sie in Erinnerung habe«, sagte die alte Dame, hob Rowans Rechte und drückte ihr einen sanften Kuss auf den Handrücken. »Danke, mein Herz.«
Deborah erkrankte in jenem Winter an Lungenentzündung und erholte sich nicht mehr richtig. Einige Monate später starb sie wie ihre Schwester: friedlich im Schlaf. Als Rowan nach der Beerdigung ins Haus zurückkehrte, um ihre Sachen zu packen, fand sie in ihrem Schreibtisch einen Umschlag mit einem Brief von Deborah und genug Bargeld, um für ein Jahr eine kleine Wohnung zu mieten.
Die Kirche hatte keine Verwendung für unseren alten Schmuck
, so Deborah.
Danke, dass du so gut zu uns warst. Schließ uns in deine Gebete ein. Wir lieben dich, Rowan.
Wenigstens ein Mal im Leben wurde ich geliebt,
dachte sie auf dem Weg zum Kühlschrank, dessen Inhalt sie musterte –
das immerhin kann mir niemand nehmen.
Die Unterlagen des Prinzesschens enthielten nichts über Jessas Essgewohnheiten, doch Rowan und Matthias waren Vegetarier, und so war kein Fleisch im Haus. Also würde sie italienisch kochen, beschloss sie und nahm ein Körbchen Eiertomaten und zwei Zwiebeln aus dem Kühlschrank. Mit fliegenden Händen ließ sie ihren Missmut an den Zutaten aus; zehn Minuten später brodelte kräftig gewürzte Tomatensoße mit Zwiebeln, Knoblauch und Oregano auf dem Herd, und Rowan begann mit dem Pastateig.
All diese Mühen wären nicht nötig gewesen – sie hatte sich persönlich darum gekümmert, dass in der Speisekammer genug unverderbliche Vorräte lagerten, um eine Eiszeit zu überstehen –, aber sie hätte hohe Summen darauf gewettet, dass das Prinzesschen sich nicht mal ein Ei kochen konnte. Vielleicht sollte sie Matthias öfter daran erinnern, dass sie sehr viel mehr draufhatte als bloß zu putzen und ihn beim Billard zu besiegen, damit er erkannte, wie wichtig sie für ihn war. Dann würde er womöglich endlich begreifen, warum sie ihm wie ein Groupie gefolgt war, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte.
Ja, und falls er das tatsächlich begreift, tätschelt er mir den Kopf und sagt, ich sei süß, aber er sei zu alt für mich, und eines Tages würde ich schon darüber wegkommen. Und dann ziehe ich dem blinden Mistkerl mit dem Queue eins über den Dickschädel.
»Rowan.«
Sie zuckte zusammen, das Teigmesser in der Hand. »Was? Ach
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