Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
diese feine Leine, sodass Jayata es überall auf der Schulter mit sich herumtragen konnte. Nachts schlief Rainbow, so war jetzt sein Name, in einem Vogelkäfig neben ihrem Bett. Rainbow musste auch mit Fliegen und anderen Insekten versorgt werden, sodass Jayata stundenlang mit ihm im Garten herumschlich, damit er mit seiner langen, pfeilschnellen Zunge die fettesten Exemplare erlegen konnte. Er war auch immer auf den Streifzügen über die Farm dabei, zu denen sie Mandume nun jeden Tag abholte. Die Farmersfrau hatte von ihrem Schlafzimmer aus beobachtet, wie Mandume sich Jayata genähert hatte. Sie ahnte, dass er an ihr ausprobieren wollte, ob verstörte Menschen vergleichbar reagieren wie verstörte Pferde. Warum eigentlich nicht? Was sprach dagegen? Bei Mandume war sie in besten Händen. Er würde auf sie aufpassen, wie auf eines der vielen mutterlosen Jungtiere, die er hochgepäppelt hatte. Auf seine Weise. Die anderen störten da nur, brachten vielleicht sogar den gewünschten Erfolg in Gefahr. Das hatte mittlerweile sogar ihr Mann verstanden, und dieses Teufelsross aus Irland, für das er ein Vermögen bezahlt hatte, ganz in Mandumes Hände gegeben.
Die junge Frau würde nicht durch die Opiumtinktur geheilt, die ihr ein Quacksalber noch in Berlin verschrieben hatte, und die sie in kurzer Zeit abhängig gemacht hatte. Gott allein wusste, welche Tragödie dahinter steckte. Harry Humphreys hatte sich über die Hintergründe nur einmal, zu vorgerückter Stunde, unter dem Einfluss mehrerer Flaschen Rotwein geäußert. Er knurrte Andeutungen über verarmte, deutsche Kleinadlige, die ihr letztes Heil in der Mitgiftjägerei suchten. Ansonsten glaubte er anscheinend fest, dass das Unglück und die seelische Krankheit seiner Tochter am besten zu überwinden waren, wenn er wie gewohnt durch die Welt polterte und für möglichst viel exotische Abwechslung sorgte. Mandume war in wenigen Tagen bereits weiter zu ihr vorgedrungen, als irgendjemand es bei der apathischen jungen Frau für möglich gehalten hatte. Sie erfüllte schon jetzt kleine Aufgaben und Pflichten im Haus, die sie ihr zuwies, um Mandumes Bemühungen zu unterstützen. Seit zwei Tagen hatte Jayata tagsüber überhaupt nicht mehr geschlafen. Sonst hatte sie ganze Nachmittage unter dem Einfluss der Opiumtinktur verdämmert. Sie hatte angefangen, sich an der Unterhaltung bei Tisch zu beteiligen. Frau Eckmann hatte sie noch nie so viel an einem Stück sprechen hören, abgesehen von ihren geheimen, wirren Selbstgesprächen mit einem unsichtbaren Robert, bei denen sie sie belauscht hatte. Alle in Jayatas Umgebung hatten versagt und irgendwie mit ihrem Unglück zu tun. Nur Mandume nicht.
Sechs Wochen später saß Mandume auf dem Zaun einer Koppel und beobachtete, wie Jayata leise mit der gefürchteten Banshee sprach. Alles hatte sich verändert. Er war auf dem besten Weg, Jayata zurück in den Kreis zu bringen. Zuerst hatte sie die Opiumtropfen nur noch abends, vor dem Einschlafen, genommen. Nach einiger Zeit dann die Dosis halbiert, schließlich gedrittelt. Zum Schluss kippte Henny Eckmann heimlich das Gift in den Ausguss und füllte das Fläschchen mit Hustensaft. Das war jetzt vier Tage her und Jayata zeigte keine Entzugserscheinungen, hatte keinen Rückschlag erlitten. Bald würde sie auch die Tropfen ganz einfach vergessen. Harry war nach der kleinen Expedition mit Herrn Eckmann in so guter Laune, dass er eigenhändig die Holzkisten öffnete und die neu gefundenen Schätze für seine Mineraliensammlung präsentierte. Dass sich Jayatas Zustand sichtbar verbessert hatte, sah er sofort, und das machte sein Glück komplett. Allerdings betrachtete er diesen Fortschritt nicht als ein kleines Wunder, sondern als die Bestätigung, dass eines seiner Konzepte wieder einmal aufgegangen war. Niemand hatte die Absicht, ihn über die näheren Hintergründe der Heilung aufzuklären. Frau Eckmann nutzte die Gunst der Stunde und bat ihn gleich nach der Rückkehr, den Genesungsprozess doch bitte nicht zu gefährden und Jayata bis zu seiner Rückkehr aus den Kupferminen von Tsumeb auf Otjikango bleiben zu lassen. Es hatte wohl auch damit zu tun, dass er selbst gerade am eigenen Leib die Heilungskräfte eines naturnahen Lebens erfahren hatte; jedenfalls stimmte er zu und brach einige Tage später zum geschäftlichen Teil der Reise nach Tsumeb auf.
6. Kapitel
Ostrea Prismatica
In Lüderitz, einer putzigen deutschen Kleinstadt in einem überdimensionalen Sandkasten, schickte
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