Dunkle Ernte

Blick auf Sir Clive.
    Der MI 6-Mann hob die Brauen. »Ach, kommen Sie, das ist nicht fair. Es war keine Zeit für Erklärungen. Außerdem durften Sie und Ihre Freundin in meinem Hubschrauber mitfliegen.«
    Jack maß ihn mit kaltem Blick.
    »Nur die Ruhe, Jack«, sagte Sir Clive beherrscht. Seine Körperhaltung verlieh dieser sanften Drohung den nötigen Nachdruck: Er stand perfekt im Gleichgewicht da, mit gestrafften Schultern und locker herabhängenden Armen, bereit zum Kampf. »Ich habe nur ein bisschen mit der Waffe gefuchtelt, damit die beiden nicht trödeln. Für höfliche Worte war keine Zeit. Ich nehme an, Sie wissen, dass wir nicht die Einzigen sind, die hinter Ihnen her sind.«
    Jack ging nicht darauf ein und wandte sich Amanda zu. »Es tut mir alles so leid. Ich hätte dich da nie mit hineinziehen dürfen. Ich hätte einfach heimfahren sollen.«
    Amanda zuckte die Achseln. »Red keinen Unsinn.«
    Sir Clive räusperte sich geräuschvoll. »Ich unterbreche diese anrührende Szene ungern, aber es wird jetzt wirklich Zeit. Wir sollten in ein paar Stunden mit Ihnen fertig sein.« Warum waren diese jungen Leute heutzutage nur so scharf darauf, ihre Gefühle öffentlich zur Schau zu stellen? Kommt alles aus Amerika , dachte er verächtlich.
    Ohne Sir Clives Einwand zu beachten, umarmte Amanda Jack noch einmal, um ihm einen Kuss auf den Mund zu hauchen. »Das tut hoffentlich nicht allzu sehr weh?«, fragte sie und ließ die Hand über seinen Bauchnähten schweben.
    »Ist schon okay. Ich gehe jetzt besser mit dem alten Wischmopp hier. Wir sehen uns später.«

15
    Jack folgte Sir Clive in die große Tiefgarage unter dem Hauptgebäude, wo sie auf einen pechschwarzen Range Rover zusteuerten. Wie gut, dass sie offenbar nicht weitere Strecken zu Fuß zurücklegen würden, dachte Jack dankbar. Er hätte Sir Clive gegenüber nie zugegeben, welche Schmerzen ihm das Gehen bereitete.
    »Wissen Sie, was heutzutage die größte Bedrohung für die Welt ist, Jack?«, fragte Sir Clive und drehte den Zündschlüssel.
    »Durchgeknallte Pharmafirmen, die an unbescholtenen Mitgliedern der Gesellschaft bizarre Tests durchführen?«, riet Jack.
    Sir Clive lachte. Gut, dass der Junge seinen Humor wiedergefunden hatte. Eine beachtliche Leistung, nach dem, was ihm in den letzten vierundzwanzig Stunden zugestoßen war. »Zunächst einmal, Jack, glaube ich nicht, dass irgendjemand in dieser Gesellschaft tatsächlich unbescholten ist. Und was die Medikamentenstudie angeht …« Er bremste neben dem Wachhäuschen und hielt seinen Ausweis hoch. »Das wird Sie vielleicht überraschen, aber die Studie war nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.«
    Sir Clive beschleunigte aus der Tiefgarage heraus und bog in den Einbahnstraßenring Richtung Vauxhall Bridge ein. Jack sagte nichts. Er war müde und hatte keine Lust, auf Spitzfindigkeiten einzugehen.
    »Wäre Indisch okay?«, fragte Sir Clive auf dem Weg durch die Horseferry Road in Richtung des Gewirrs aus engen Gassen und Plätzen zwischen Parlament und Victoria Street. Er aß gern in diesem Teil der Stadt. Hier war es abends angenehm ruhig. Die Restaurants lebten offenbar überwiegend von den Mittagsbüfetts, die sie für die preisbewussten Angestellten aus den umliegenden Büros anboten.
    Sir Clive parkte vor einem ziemlich heruntergekommenen Lokal, das »Golden Tandoori« hieß. Er wählte einen Tisch im hinteren Teil, von dem aus man den Raum überblicken konnte, und reichte Jack eine eselsohrige und von Essensresten verklebte Speisekarte. Man bekam sofort einen guten Eindruck davon, für welches Gericht man sich entscheiden sollte, dachte Jack. Oder besser, für welches nicht.
    »Ich nehme das Madras-Curry, so scharf wie möglich«, sagte Sir Clive zum Kellner.
    »Einmal Lamm-Tandoori, bitte«, bestellte Jack. »Außerdem einmal Korma und Curry-Auberginen. Ein bisschen Naan-Brot dazu wäre schön und ein Bier. Ein großes. Und Zwiebel-Bharji, bitte, und eine doppelte Portion Reis.« Am liebsten hätte er die ganze Karte auf einmal bestellt, so groß war sein Hunger, doch er hielt es für besser, sich ein wenig zurückzuhalten.
    »Ein Mann mit einem anständigen Appetit, wie schön. Wo war ich stehengeblieben?« Sir Clive brach sich ein Stück von einem Papadam ab und tauchte es in einen Gurken-Joghurt-Dip.
    »Sie wollten mich mit ein paar beängstigenden Fakten beeindrucken«, erwiderte Jack unbewegt.
    Sir Clive kaute knirschend sein Papadam. Dieser Zynismus, dachte er. Was würden