Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Ernte

Dunkle Ernte

Titel: Dunkle Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mockler
Vom Netzwerk:
glauben wollen und was ihnen von Nutzen ist.« Das Modul glitt ihm aus der Hand und fiel platschend in seinen Kaffee. Er fischte es heraus und wischte es rasch mit einer Serviette ab.
    »Wir haben Hunderte von diesen Dingern in unserem Labor«, fuhr er fort, »und sie können rein gar nichts. Jedenfalls nichts von dem, was ich gerade beschrieben habe. Sie zucken und sehen eindrucksvoll aus, sind aber im Grunde nicht mehr als ein Hightech-Schachtelteufel. Sie verbinden tatsächlich organische Materie mit Halbleitertechnologie, aber eine besondere Funktion haben sie nicht. Immerhin senden sie schwache elektromagnetische Wellen aus, daher kam es bei Ihnen auch zu der starken Reaktion auf die Röntgenstrahlen.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und wedelte mit dem Modul. »Aber bei diesen Dingern ist nicht wichtig, was sie können, sondern, wohin sie uns führen. Sie sind nichts als ein guter, altmodischer Bluff. Die klassische Taktik aus dem Kalten Krieg. Wie gesagt, die Menschen haben sich technologisch weiterentwickelt, aber die menschliche Psyche nicht.«
    Jack sah das Modul an und dachte an die neun Toten in dem Labor. Ein hoher Preis für einen Bluff, der vielleicht nicht einmal funktionieren würde. Er konnte von Glück sagen, dass er nicht das gleiche Schicksal erlitten hatte. »Ich hatte zwei Fragen, Sir Clive. Die erste haben Sie beantwortet. Die zweite nicht. Was haben Sie mit mir vor?«

17
    Später am Abend, nach dem Sex, als Amanda schläfrig und befriedigt in seinem Arm lag, ließ sich Jack das Angebot durch den Kopf gehen. Im Grunde hatte er längst geahnt, was Sir Clive ihm vorschlagen würde, trotzdem hatte er es aus dessen Mund hören wollen. Der Bluff könne nur funktionieren, wenn das letzte Modul auch noch gestohlen wurde. Wenn diejenigen, die das Labor überfallen und neun Patienten ermordet hatten, es aus ihm herausschneiden würden. Der MI 6 habe in den Informationen, die er im Vorfeld des Überfalls hatte durchsickern lassen, immer wieder präzisiert, dass die zehn Module nur im Zusammenspiel funktionierten. Wenn es aufgrund eines fehlenden Moduls nicht zum Verkauf käme, würde man nie herausfinden, wer bei einem künftigen Cyber-Krieg mitmischen wollte. Damit wäre jeglicher Präventivschlag unmöglich.
    Sein Verstand riet ihm klar abzulehnen, das Ganze zu vergessen und in sein normales Studentenleben nach Cambridge zurückzukehren. Doch sein Herz sagte etwas anderes. Es war eine Chance, eine Herausforderung, die Gelegenheit, sich zu beweisen. Während er mit der Entscheidung rang, musste er an seinen Bruder Paul denken, und schmerzvolle Erinnerungen aus der Kindheit, die er sicher verdrängt geglaubt hatte, brandeten in ihm hoch.
    Jack war acht, drei Jahre jünger als Paul; sie waren in einem Alter, in dem Welten sie voneinander trennten. Sie spielten im Schnee, draußen vor dem Militärstützpunkt in Herefordshire, wo sie wohnten. Die Luft schnitt kalt durch ihre Wollschals an diesem zur Neige gehenden Wintertag, während die Sonne die letzten Strahlen über den Horizont schickte. Jack wollte eine Schneeballschlacht beginnen, doch Paul ging nicht darauf ein und sagte, sie müssten nach Hause. Jack wurde wütend und versuchte den älteren Bruder auf sich aufmerksam zu machen. Paul war Dads Liebling, er war ein hervorragender Schwimmer und ein pfeilschneller Sprinter, und seinem kleinen Bruder gegenüber gab er sich immer sehr erwachsen und überlegen.
    »He, Paul, schau mal hierher, ich wette, das kannst du nicht!« Jack war auf den Rand des zugefrorenen Sees hinuntergeklettert und rutschte vorsichtig vom Ufer weg. »Schau her, Paul! Ich kann ganz toll Schlittschuh laufen, und du kannst das nicht, weil du ein Angsthase bist«, rief er und schlitterte über das Eis, bis er fast die Mitte des Sees erreichte. »Angsthase, Pfeffernase, morgen kommt der Osterhase!«
    »Komm zurück, Jack, sei nicht albern«, erwiderte Paul. Er war zwar auch erst elf, aber er kannte den Unterschied zwischen Mut und Waghalsigkeit.
    In dem Moment, als Jack sich Pauls Aufmerksamkeit sicher war, merkte er, wie das Eis unter ihm nachgab. Ein lautes Knarzen ertönte, wie bei einem alten hölzernen Schiffsrumpf. Dann schwappte Wasser aus der schwarzen Tiefe über die gefrorene weiße Fläche und umspülte seine Gummistiefel. Er drehte sich zu Paul um, und der aufsässige Ausdruck in seinem Gesicht war nackter Panik gewichen.
    Die Kälte umfing ihn mit einem Schlag, lähmte ihn und tauchte ihn ins Dunkel. Alles

Weitere Kostenlose Bücher