Dunkle Ernte
in Gefahr befinden. Ich muss sie in Sicherheit bringen«, erklärte er knapp.
Die Aufzugtüren öffneten sich surrend. Der Krankenhausmanager war normalerweise ein guter Menschenkenner, doch ob dieser Mann die Wahrheit sprach, konnte er nicht sagen. »Patienten?«, hakte er nach, während er hinter Sir Clive den Aufzug betrat. Wenn dem so war, hätte er ein ethisches Problem. Er hatte seinen Patienten gegenüber eine Sorgfaltspflicht zu erfüllen und konnte nicht zulassen, dass irgendjemand vom Secret Service daherkam und einfach so einen Kranken auf einer Rollbahre davonfuhr.
Sir Clive schüttelte den Kopf. »Wohl kaum«, erwiderte er. Die Türen öffneten sich. »Der schnellste Weg zur Rezeption?«, fragte er.
Der Krankenhausmanager deutete nach links. »Geradeaus, dann die zweite Tür rechts.«
Sir Clive machte sich im Laufschritt auf den Weg.
Vor dem Schalter wartete eine ganze Reihe von Menschen, an denen er einfach vorbeiging. Er wählte einen seiner falschen Ausweise und hielt ihn der Empfangskraft vors Gesicht. Sie las Namen und Funktion, Detective Fisher, Cambridge Criminal Intelligence Department.
Sir Clive lehnte sich über den Tresen und grinste sie breit an. »Vor etwa zwanzig bis dreißig Minuten«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »sind ein Mann und ein Frau durch diese Tür getreten, er fast ein Meter fünfundneunzig, sie blond und attraktiv. Klingelt da was bei Ihnen?«
Die Frau sah ihn erst verdutzt, dann besorgt an. »Warum, haben die was angestellt?«
Sir Clive beugte sich noch näher zu ihr. »Das beantwortet meine Frage nicht«, sagte er und fügte mit Blick auf ihr Namensschild hinzu: »Yasmina.« Sein Ton war scharf.
Die Frau runzelte die Stirn. »Vor einer halben Stunde vielleicht. Sie sind in eines der Forschungslabors gegangen.« Sie verzog nachdenklich das Gesicht. »Jemand hat sie abgeholt. Wer war das noch … ach ja, Dr. Anne Fitzgerald. Sie arbeitet hier im Forschungsbereich. Sie brauchen eine Codekarte, um dorthin zu kommen.«
»Ich nehme Ihre«, sagte Sir Clive und griff über die Theke.
»He! Moment! Sie können doch nicht einfach …!«
Doch Sir Clive war bereits durch die Türen in Richtung der Labors verschwunden.
Die Frau, die hinter ihm in der Schlange gestanden hatte, zuckte die Achseln. »So wie es aussieht, kann er sehr wohl. Es sei denn, Sie haben vor, ihn aufzuhalten.«
Den Kopf leicht zur Seite gewandt, damit das Glas durch seinen Atem nicht beschlug, verfolgte Sir Clive die Operation durch das Fenster in der Tür. Eine Hand hatte er auf der Waffe liegen, mit der anderen drückte er auf den Ohrstöpsel, weil die Verbindung zur Operationszentrale immer wieder abriss. Im Stillen beeindruckten ihn die grimmige Entschlossenheit und die flinken, geschickten Hände der Operateurin – ebenso wie die Tapferkeit des Patienten. Jetzt hineinzugehen wäre Unsinn. Die beiden Damen sollten erst einmal ihre Arbeit zu Ende führen. Wenn sie wirklich so professionell waren wie sie aussahen, würde dem Modul beim Entnehmen nichts geschehen.
Nichts ging über perfektes Timing.
13
Dorchester Hotel, London
Monsieur Blanc klappte sein Handy zu und reichte es einem seiner Assistenten. Es war zwölf Uhr. Um diese Zeit trank er für gewöhnlich einen Aperitif, um anschließend ein ganz spezielles Mittagsgericht zu sich zu nehmen.
Das Telefonat war nicht einfach gewesen. Die Leute, für die er arbeitete, mochten keine Fehler. Sein Ruf wäre ruiniert, wenn er das letzte Modul nicht lieferte. Die zehn Einheiten funktionierten nur zusammen, da sie ein virtuelles Netzwerk bildeten. Fehlte eine, waren die anderen nutzlos. Wenn er das eine Modul nicht beschaffen konnte, wäre seine Karriere als Waffenhändler beendet. All die Jahre, in denen er Kontakte geknüpft und Quellen erschlossen hatte, all die Zeit und Energie, die er investiert hatte, wären umsonst gewesen. Seine Auftraggeber würden dafür sorgen, dass er nie wieder einen Fuß auf den Boden bekam, nie wieder einen lohnenden Vertragsabschluss machte. Er würde wieder mit Koffern voller Kalaschnikows kreuz und quer durch Afrika reisen müssen und hoffen, dass er nicht von Diktatoren, Milizenchefs oder somalischen Piraten aufgeschlitzt wurde. Nein, diese Zeiten wünschte er sich nicht zurück, dazu hatte er zu hart gearbeitet.
Als es klopfte, öffnete er die Tür. Der Hotelkellner rollte auf einem Servierwagen sein Mittagessen herein, eine Sonderbestellung. Was er an den Londoner Hotels am meisten schätzte, war ihre
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