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Dunkle Flut

Dunkle Flut

Titel: Dunkle Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul S. Kemp
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nieder.
    Gerinnendes Blut bedeckte den Boden rings um Läufer, besudelte die Sohlen ihrer Stiefel. Sie drehte seinen Körper herum. Sein Gesicht war lila von Schlägen. Das Loch in seiner Brust stammte von etwas Scharfem und Nichtelektrischem, mit Sicherheit nicht von einem Lichtschwert.
    Sie strich mit ihren Händen über Läufers Augen, um sie zu schließen, und erhob sich. Sie bemerkte einen Gegenstand auf dem Boden und hob ihn auf – ein Armbrustbolzen mit einer Spitze scharf wie ein Messer.
    Sie fuhr mit dem Daumen darüber und ließ ihren Blick den Korridor zu ihrer Linken hinunterschweifen, dann den zu ihrer Rechten. Sie leckte sich über die Lippen, fühlte sich entblößt. Ein Geräusch aus dem Gang rechts von ihr erregte ihre Aufmerksamkeit, das Flüstern eines Stiefels auf dem Boden. Sie sah nichts. Die matte Deckenbeleuchtung genügte kaum, um den Korridor zu erhellen, machte den Gang zu einem Wechselspiel aus Licht und Schatten.
    Ein sonderbares Gefühl überkam sie. Zuerst missdeutete sie es als das normale Zu- und Abnehmen der Energie in sich. Sie glaubte, dass die Medikamente ihre Verbindung zur Macht schwächten, um die Krankheit daran zu hindern, zu schnell fortzuschreiten. Aber das Gefühl klang nicht ab. Sie fühlte sich, als würde sie einen Abfluss umkreisen, in ein Loch stürzen, und die Geschwindigkeit, mit der sie fiel, nahm zu.
    Die Dunkelheit um sie herum vertiefte sich. Links und rechts von ihr erlosch die Beleuchtung im Korridor so weit, dass bloß noch Funken übrig blieben.
    Sie drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und schaltete ihre Waffe ein. Die vertraute rote Klinge beruhigte sie, und in ihrem Schein suchte sie nach ihrem Feind. Sie ließ ihren Zorn und ihre Beklommenheit wachsen und nutzte beides dann dazu, um sich der Macht noch weiter zu öffnen. Gleichwohl, die Verbindung fühlte sich lose an, gedämpft, und sie wurde schwächer. »Ich weiß, dass du da irgendwo bist«, sagte sie.
    Sie streckte ihre Machtsinne aus, so gut sie es eben vermochte, in der Hoffnung, die Präsenz ihres Widersachers auszumachen. Sie fühlte nichts, bloß ein weiteres Loch, eine weitere Leere in ihrer Wahrnehmung. Ihre Ruhe schwand, um von Besorgnis ersetzt zu werden, von aufkeimender Furcht. Sie fletschte die Zähne und zischte.
    Ihr Blick fiel auf Läufer, und sie ließ den Bolzen fallen. Ihre Klinge begann zu flackern. Angst schlug in ihrem Magen Wurzeln und breitete sich durch den Rest von ihr aus. Mit großen Augen verfolgte sie, wie die Schneide ihrer Waffe dünner wurde, zischte und dann erlosch.
    Dunkelheit. Sie fühlte sich vollkommen von der Macht abgeschnitten, ein Gefühl, das sie noch nie zuvor erfahren hatte, eine erschlagende Einsamkeit, die ihren Rachen austrocknen ließ. Sie atmete schwer, verriet dadurch ihre Position. Sie glitt an der Wand entlang, so lautlos wie ein Schatten. Die Hand um den Griff ihres Lichtschwerts schwitzte, totes Metall in ihrer Faust.
    Sie musste zurück zum Aufzug, zurück zu Soldat, Seherin und Anmut. Sich mit einer Hand an der Wand entlangtastend, bahnte sie sich langsam ihren Weg zurück in die Richtung, aus der sie kam.
    Als ihr Verstand das Geräusch endlich zuordnen konnte – das Zischen eines abgefeuerten Armbrustbolzens –, trieb ihr ein wuchtiger, kraftvoller Treffer seitlich in die Brust den Atem aus der Lunge und schleuderte sie zu Boden.
    Sie wollte ihren Schmerz hinausschreien, aber sie schien außerstande, ihre brennende Lunge mit Luft zu füllen. Sie richtete sich auf alle viere auf, versuchte, sich aufzurappeln und schaffte es nicht. Sie sah den Schaft des Bolzens aus ihrem Brustkorb ragen. Blut strömte aus ihrer Seite.
    Auf dem Boden vor ihr tauchten zwei Füße auf. Sie griff nach den Beinen – die Bewegung rang ihr ein schmerzerfülltes Zischen ab –, aber sie traten außer Reichweite, und Jägerin rutschte auf dem Boden aus, der glitschig von ihrem eigenen Blut war, und landete flach auf dem Bauch. Sie starb, allein, getrennt von der Macht, getrennt von ihrer Tochter, von ihrer Gemeinschaft.
    Wieder standen die Füße vor ihr. Mit gewaltiger Anstrengung gelang es ihr, ihren Körper auf den Rücken zu hieven. Sie starrte zur Decke empor, ihre Atmung wurde stetig flacher, doch zumindest ließ der Schmerz nach, als sie starb.
    Ihr Mörder nahm in ihrem Blickfeld Gestalt an. Seine Silhouette tauchte aus der Dunkelheit auf, als sei sie ein Teil davon. Blasse Hände streiften die Kapuze zurück, um einen kahlen Schädel und ein

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