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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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wohne allein«, sagte ich. »Aber ich komme schon zurecht« fügte ich hinzu, als sie ein besorgtes Gesicht machte. »Ist es okay, wenn ich jetzt gehe?«
    »Verwandte?« So leicht gab Mizon nicht auf.
    »Sie wohnen nicht in London«, erwiderte ich. Das stimmte zwar, war aber ein bisschen unaufrichtig. Sie wohnen nirgends. Ich habe keine Familie. »Hören Sie, ich bin müde, ich habe nichts gegessen, ich will einfach nur nach Hause und …«
    Mit gefurchter Stirn blickte Joesbury auf. »Hat niemand Ihnen etwas zu essen angeboten?«, fragte er, und man musste ihn wirklich dafür bewundern, wie er das klingen ließ, als sei es meine Schuld.
    »Ist wirklich kein Problem. Kann ich jetzt gehen?« Ich stand auf. »Sir«, fügte ich zur Sicherheit hinzu.
    Joesbury wandte sich an Mizon. »Gayle, wenn wir den Mörder hier angeschleppt hätten, auf frischer Tat ertappt und das Messer zwischen den Zähnen, dann hätten wir ihm etwas zu essen gegeben. Und eine von unseren eigenen Leuten lassen wir hungern.«
    »Ich dachte, jemand anderes hätte …«, setzte Mizon an.
    »Es ist wirklich nicht …«, versuchte ich es.
    »Entschuldigung«, sagte sie zu mir. Ich zuckte die Schultern, brachte ein Lächeln zustande.
    Joesbury stand auf und schritt durchs Zimmer. »Kommen Sie«, sagte er und hielt die Tür auf.
    »Wo geht’s denn jetzt hin?« Ich hatte nicht mehr die Energie, auch nur ansatzweise höflich zu sein. Nicht dass frühere Bemühungen großen Erfolg gehabt hätten.
    »Ich sorge dafür, dass Sie was zu essen bekommen, dann bringe ich Sie nach Hause.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf die Disk, die auf dem Tisch lag. »Können Sie das weiterleiten?«, fragte er die ziemlich verblüffte Mizon. Dann ging er mit mir hinaus.
    Tullochs silberner Mercedes war bereits umgestellt worden, und Joesbury schloss den grünen Audi auf, den wir vorhin zugeparkt hatten. Er ließ den Motor an, legte den Gang ein und fing an, einen Stapel CD s durchzusehen.
    »Haben Sie was von Westlife?«, erkundigte ich mich, als er rückwärts aus der Parkbucht fuhr und wendete. Als er nicht antwortete, machte ich mir im Geiste eine Notiz, dass Sinn für Humor nicht besonders weit oben auf der Liste der Eigenschaften dieses Mannes stand. Und dass ich fair und einfühlsam wahrscheinlich ebenfalls streichen konnte. Tatsächlich konnte ich eigentlich nur einen gesunden Respekt vor dem Hunger einer Frau bestätigen. Er schob eine CD in die Stereoanlage. Wieder auf der Lewisham High Street, drehte er die Lautstärke auf, und rhythmische Club-Musik erfüllte den Wagen. Botschaft empfangen und verstanden, DI Joesbury. Ich sollte die Klappe halten.

5
    Der Garten ist lang und schmal. Und sehr dunkel. Hohe Mauern halten auf drei Seiten das Licht fern, während das dichte Laub wuchernder Büsche alles an Helligkeit aufzusaugen scheint, was trotzdem durchdringt. Etliche Fenster gehen auf den Garten hinaus, doch der Eindringling, der langsam den schmalen Kiesweg hinuntergeht, ist ganz in Schwarz gekleidet, und es ist unwahrscheinlich, dass er entdeckt wird.
    Der Garten duftet. Der Eindringling bleibt einen Augenblick lang stehen und atmet tief durch, ehe er die Hand nach einer sternförmigen Blüte ausstreckt. Jasmin.
    Am unteren Ende des Gartens ist ein kleiner, solide gebauter Holzschuppen, teilweise vom Pflanzenwuchs verborgen. Efeu rankt sich an den Wänden hinauf, und überhängende Äste ruhen auf dem Dach. Die Tür ist abgeschlossen. Der Eindringling überlegt einen Moment, ehe er den Arm nach oben streckt und mit der Hand am Rand des niedrigen Flachdachs entlangstreicht. Ein paar Augenblicke später findet die Hand, wonach sie sucht. Einen Schlüssel.
    Die Tür lässt sich leicht öffnen. Mit einem unterdrückten Fluch fährt der Eindringling zurück.
    Einen Augenblick lang scheint eine menschliche Gestalt in dem Schuppen zu hängen. Sie pendelt sanft hin und her, dreht sich auf der Stelle. Der Form nach menschlich, aber kein Mensch. Diese Gestalt hat einen weichen, zylindrischen Oberkörper; sie ist bekleidet, hat aber keine Gliedmaßen. Ihr Kopf – männlich – hat früher einmal aus einem Schaufenster geblickt.
    Der Eindringling berührt sie leicht. Sie dreht sich an der Kette, an der sie vom Schuppendach hängt, und der Kopf pendelt wie der eines Betrunkenen. Oder eines Verrückten.
    »Was für eine tolle Idee«, sagt der Eindringling. »Oh, Lacey, was für eine geniale Idee.«

6
    »Sind Sie Vegetarierin, haben Sie eine Laktoseunverträglichkeit, oder

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