Dunkle Küsse: Ein Vampirthriller (German Edition)
und kein Tier auf zwei Beinen.
Der Schock hält nur einen Augenblick vor. Er reißt die Hand herum und führt einen Hieb mit dem Messer. Die Klinge dringt durch meine Jeans und schlitzt mir den linken Oberschenkel auf. Blut folgt der Spur des Messers in einem scharlachroten Bogen.
Der Geruch meines eigenen Blutes löst in mir den unbeherrschbaren Drang aus, sein Blut zu vergießen. Die Verwandlung ist komplett. Der Vampir übernimmt vollends die Kontrolle. Ich höre Dan und Sylvie nach Luft schnappen, als sie sehen, was die meisten Sterblichen niemals sehen werden. Ich lasse meine Waffe zu Boden fallen und bereite mich auf den tierischen Angriff vor, mit aufgerissenem Maul und gebleckten Zähnen.
Alan beginnt zu schreien. Das kümmert mich nicht. Er duckt sich hinter den erhobenen Fäusten zusammen und versucht zurückzuweichen. Ich stürze mich auf ihn. Er hebt das Messer, und ich hindere ihn nicht daran. Ich gönne ihm diesen letzten Hoffnungsschimmer, bevor ich ihm die Kehle herausreiße.
Der Schuss ist so laut, dass ich zusammenzucke und mir unwillkürlich die Ohren zuhalte. Ein Sprühnebel aus Blut und Gewebespritzern legt sich wie ein scharlachroter Schleier über mein Gesicht und meine Kleidung. Einen Augenblick lang bin ich nicht einmal sicher, wer getroffen wurde. Der schmerzhafte Lärm hallt in meinen Ohren nach wie das Schlagen einer Kirchturmglocke, lange nachdem mein Verstand den Laut eingeordnet hat. Alan sackt langsam in sich zusammen. Sein Gesicht ist weg.
Ich lasse mich auf alle viere fallen. Ich weiß nicht, wer Alan erschossen hat, aber wer auch immer es war, ist mit dem Schießen vielleicht noch nicht fertig. Kugeln tun weh.
Es wird still auf der Lichtung. Zu still. Sylvie rührt sich als Erste. Sie kommt ganz nah heran und starrt auf Alans Leichnam hinab. Dan packt sie und zieht sie zurück. Sie reagiert, als hätte er sie geschlagen, und weicht mit einem leisen Aufschrei vor ihrem Vater zurück. Dann lässt sie sich an ihn sinken und beginnt zu schluchzen.
Keiner von beiden sieht in meine Richtung. Ich bin wieder die menschliche Anna, aber ich habe ein Bild von mir vor Augen, wie ich es noch vor ein paar Augenblicken knurrend und mit gefletschten Zähnen auf Alans Kehle abgesehen hatte. Ich nehme an, den beiden geht es genauso, und das ist vermutlich der Grund dafür, dass sie nicht herbeieilen, um nachzusehen, wie es mir geht.
Aber etwas anderes erstaunt mich noch viel mehr.
Weder Dan noch Sylvie halten eine Waffe in der Hand.
Ich blicke auf Alans Leiche hinab. Der Schuss hat seinen Hinterkopf weggesprengt, die Austrittswunde ist ein klaffendes Loch unterhalb der Nasenwurzel. Der Schuss kann nur von hinten gekommen sein. Aus dem Gebüsch. Und von einem großkalibrigen Gewehr.
Mein Blick sucht das dichte Unterholz ab. Nichts.
Und dann bricht die Hölle los.
Das Echo des Schusses ist kaum verhallt, da sind wir schon von Uniformen umzingelt. Staatspolizei, örtliche Polizei, Detectives in Zivil, sogar ein paar Ranger tauchen aus den Schatten auf wie ein Schwarm Mücken. Offenbar waren sie uns dicht auf den Fersen, und der Schuss war für sie so etwas wie ein Startsignal. Alle rennen mit gezogenen Waffen auf uns zu. Burt und diese Gruppe Wanderer haben offenbar richtig Wind gemacht.
Man befiehlt uns, die Hände an den Hinterkopf zu legen, und wir gehorchen. Die Beamten nähern sich.
Unsere Waffen werden beschlagnahmt. Sie trennen uns, um uns zu befragen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass unsere Geschichten sehr ähnlich lauten werden. Dan und ich sind hierhergekommen, um Sylvie vor ihrem brutalen Exmann zu retten. Sie hat frische Blutergüsse an den Wangen, und ihr Vater und der verletzte Onkel werden die Geschichte bestätigen, dass sie um ihr Leben fürchten musste. Das große Rätsel ist die Frage, wer Alan erschossen hat. Dass keiner von uns in der richtigen Position für diesen Schuss war oder die passende Waffe dabeihatte, dürfte unsere Unschuld beweisen.
Während Dan befragt wird, wirft er kaum einen Blick in meine Richtung. Ich warte nur darauf, dass er etwas über meine wüste Attacke gegen Alan sagt, aber vielleicht ist er zu erleichtert darüber, dass er mich gestern Nacht nicht so erlebt hat. Ich habe das Gefühl, dass es ziemlich lange dauern wird, bis Dan wieder mit einer Fremden ins Bett geht.
Die Dunkelheit ist hereingebrochen. Scheinwerfer werden aufgestellt, damit die Spurensicherung ihre Arbeit vollenden kann. Als ich endlich an der Reihe bin, meine Version
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