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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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so offen sein, aber ich warte auf dich. Merkst du nicht, dass ich auf dich warte?
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    Samstag, 20. November, 16:38
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    Ich weiß, dass ich gestern nicht geschrieben habe. Aber ich habe oft versucht, dich anzurufen. Wo warst du die ganze Zeit? Ich weiß nichts von dir. Und du weißt alles über mich. Es gibt keine Minute meines Lebens, von der du nichts weißt. Manchmal glaube ich, dass du eine Art Spion bist. Du spionierst mir die ganze Zeit hinterher. Du sammelst Information. Aber von dir selbst gibst du nie etwas preis.
    Â 
    Es stimmt, dass gestern der erste Tag war, seit Oktober, an dem ich dir nicht geschrieben habe.
    So wie es auch andere Dinge gab, die gestern zum ersten Mal passierten.
    Â 
    Wie kann ich dir die Angst erklären, die ich gestern hatte, dass du mich jetzt verlassen würdest, wenn du hörst, was passiertist. Und die Versuchung, es dir nicht zu erzählen. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
    Ich werde noch einmal versuchen, dich anzurufen.
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    Â 
    Samstag, 20. November, 17:55
    Â 
    Adam, Geliebter,
    du sagst, dass du mich immer lieben wirst, dass du mich nie verlassen wirst, aber wie kann ich das glauben? Und was heißt das, dass du mich nicht verlassen wirst, wenn du jetzt nicht mit mir zusammen bist? Verstehst du nicht, dass es für mich die Hölle ist, zu denken, dass das, was ich gestern mit Gabi gemacht habe, das ist, was du jede Nacht mit Ruth machst?
    Â 
    Und es gibt so viele Schichten von Erklärungen, Gedanken, Gefühlen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.
    Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Gabi und mir, und schon bei unserem ersten Gespräch im Haus Belgien über Suppen und über die Schöpfung habe ich eine gewisse Nähe zu ihm gespürt. Und nun, bei unseren Gesprächen während der Tagung, im Schwimmbad, in der Hotelbar, habe ich besser verstanden, was uns verbindet. Die Tatsache, dass auch er in Israel ein bisschen fremd ist (er kam erst mit vierundzwanzig Jahren hierher). Die Tatsache, dass auch er eigentlich ohne Vater aufwuchs, vielleicht hängt seine Neigung zu einem ausschweifenden Leben damit zusammen, dass man ihm keine Grenzen setzte (ist dir schon mal aufgefallen, dass viele einflussreiche Menschen ohne Vater aufwuchsen? Hitler, Saddam Hussein, Evita Peron, ich glaube auch Nietzsche und Camus). Und auch seine Zweifel, was seine Arbeit betrifft. Obwohl er ein ausgezeichneter Physiker ist.
    Â 
    Ja, ich gebe zu, dass uns diese Dinge einander näher brachten. Ich war so einsam auf dieser Tagung, dazu kamen deine Kritik und meine Zweifel, und so blieb es nicht aus, dass ich in bestimmten Momenten das Gefühl hatte, er sei der einzige Mensch, der mich akzeptiert. Er ist auch der einzige auf dieser Tagung, in dessen Anwesenheit ich nicht das Gefühl bekam, ein unbekanntes Flugobjekt zu sein.
    Â 
    Und trotzdem war ich nicht wirklich bei ihm. Sogar in seinem Bett, Freitagnacht, nachdem wir zusammen den Beaujolais aus Latrun getrunken hatten, als er mich langsam auszog, als er mich auf den Hals küsste, genau an der Stelle, an der ich es mag, sogar als seine Hand sich zwischen meine Schenkel schob, sogar als er in mir war, fühlte ich mich ein bisschen so, als wäre ich nicht beteiligt. Mir war, als wäre ich von einer Art Spray überzogen, einer anderen Haut, die mir die Luft nahm. Eine zusätzliche Schicht auf meinem Körper, die mich daran hinderte, andere wirklich zu spüren.
    Â 
    Warum habe ich es gemacht? Ich wünschte, ich könnte es erklären. Du hast recht, vielleicht schmeichelt es meinem Ego, dass ein weltberühmter Wissenschaftler sich für mich interessiert und auch keine Angst hat, es immer wieder zu versuchen. Aber jetzt weiß ich, dass dieser Teil des Egos das Seine schon bekommen hat. Ich werde es nicht wieder tun.
    Â 
    Es ist sehr schwer, nein zu sagen, Adam. Besonders jemandem gegenüber, den man gern hat. Glaub mir, sogar bei dir habe ich mehr als einmal vorgehabt, nein zu sagen, wegen deiner Situation, weil du nicht frei bist. Ich bin so froh, dass ich es nicht getan habe.
    Â 
    Ich fange an zu verstehen, wie schwer es ist, nein zu sagen, aber wie viel Befriedigung es schenken kann.
    Ich bin auch entsetzt, wie gut du mich kennst.
    Â 
    Ich bin jetzt nicht sehr konsequent, ich weiß es, und ich habe auch keine Zeit. Gleich beginnt ein Vortrag über die neuesten Entdeckungen in der Kosmologie, und ich darf ihn auf
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