Dunkle Schatten (German Edition)
hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Während er die
Anrufe nach Dringlichkeit listet, kommen ständig neue herein, und er weiß
nicht, was er zuerst tun soll. Auf Lenas Handy ist es bedeutend weniger, obwohl
auch sie einige Medienanfragen registriert. Auf irgendeine Weise sind die
Journalisten an ihre private Handynummer gekommen. Der wichtigste Anruf stammt
allerdings vom Sekretariat des Wiener Landespolizeikommandanten, und es wird
gebeten, umgehend zurückzurufen. Sie weiß genau, was ihr blühen wird.
Kokoschansky blickt, durch den Vorhang verdeckt, vom Wohnzimmerfenster
aus auf die schmale Straße hinunter. Unten ist der Teufel los. Fotografen
lungern herum und warten auf eine günstige Gelegenheit für ihre Fotos. Zwei
heimische Kamerateams stehen sich ebenso die Beine in den Bauch wie ihre
Kollegen von den deutschen Fernsehsendern. Er erkennt es an den Aufklebern auf
ihren Kameras und dem Windschutz für die Mikros.
»Lena, jetzt werden wir endlich berühmt«, ruft er sarkastisch in Richtung
Küche, »sogar RTL, SAT1 und PRO 7 lauern bereits auf uns.«
Wenn die Geschichte aufgeht, dann ist es natürlich eine Mediensensation.
Zwei BKA-Beamte auf Abwegen und die Hintergründe, warum sie sich darauf
eingelassen haben, mit dem Ziel, einen bekannten Journalisten mundtot zu
machen, sind der Stoff, der Quoten und Auflagen steigen lässt.
»Vor unserer Tür auf den Stufen sitzen ebenfalls zwei Fotografen«, sagt
Lena und kommt herein, um sich das Spektakel anzusehen, »ich habe sie durch den
Spion gesehen. Super, jetzt sind wir Gefangene in unserer eigenen Wohnung.
Genau das, was ich jetzt brauche.« Sie ist stocksauer, versteht aber
Kokoschanskys Handlungsweise voll und ganz. In ihrem tiefsten Inneren fragt sie
sich immer öfter, ob es damals wirklich so klug war, sich ausgerechnet in
diesen verrückten Journalisten zu verlieben. Warum war es kein biederer
Buchhalter oder ein verschrobener Lehrer? Doch gegen seine Gefühle kann niemand
ankämpfen. Natürlich wird sie diese Gedanken für sich behalten. Insgeheim spürt
sie, es ist erst der Beginn einer nach allen Seiten offenen Geschichte mit
ungewissem Ausgang.
»Wolltest du nicht heute auch deinen Sohn und Sonja besuchen?«, fragt sie
und gibt sich gleich selbst die Antwort: »Daraus wird wohl nichts. Was machen
wir nun?«
»Wenn ich das wüsste«, antwortet Kokoschansky achselzuckend, »ich kann
jetzt nicht einmal unbemerkt den Koks abholen und die Verpackung auf
Fingerprints und DNA untersuchen lassen, ohne gleich das Rudel am Hals zu
haben. Sonja wird stinksauer und Günther todtraurig sein.«
»Und mit Recht«, sagt Lena leise.
»Ewig können die auch nicht herumlungern«, meint Lena, »irgendwann werden
sie wohl verschwinden.«
»Da kennst du aber gewisse Bluthunde in unserer Branche schlecht«,
berichtigt sie Kokoschansky und denkt einen Moment nach, »allerdings …, wenn
ich über unseren Balkon, der in den Hinterhof hinausgeht, abhaue, schauen sie
durch die Röhre.«
»Bist du wahnsinnig?« Lena tippt sich an die Stirn. »Wir sind im vierten
Stockwerk! Wie willst du denn runter?«
»Ich brauche nur auf das kleine Sims hinaussteigen, und dann geht es
schon über die Regenrinne abwärts. Der Hinterhof ist versperrt, und Schlüssel
haben sie keinen. Dort lauert auch niemand. Und ich bin schon weg. Ich hoffe
nicht, dass einer der Mieter ihnen hilft.«
»Du hast sie nicht mehr alle.«
»Mag sein. Aber soll ich hier Däumchen drehen? Ich brauche den Beweis!
Dafür muss ich zu Mitnick. Freitag wird mich chauffieren.«
»Und wenn du abstürzt, du verrückter Hund? Was dann? Schließlich bist du
…«
»… keine dreißig mehr. Ich weiß. Danke für den Hinweis.«
Kokoschansky lässt sich nicht zurückhalten, schnappt sich aus einer
Schreibtischlade ein Wertkartenhandy, das er für extreme Situationen parat
hält. Er ist sich sicher, weiter abgehört zu werden. Nach seinem Auftritt vorhin
ganz bestimmt. Schnell haucht er Lena einen Kuss auf den Mund und steigt über
das Balkongeländer, hantelt sich über das Sims vor, bis er die Regenrinne
greifen kann. Zum Glück kennt Kokoschansky keine Höhenangst, doch nun wird ihm
doch etwas mulmig. Scheiße, denkt er, im Film sieht das immer so leicht aus.
Außerdem hat der Held seine Stuntmen, die für ihn ihre Knochen riskieren.
Jetzt sind seine lange Beine mehr als hilfreich, und es gelingt ihm, sich
Meter für Meter von einem Abtritt zum nächsten im Schneckentempo abwärts zu
bewegen. Oben am
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