Dunkle Schatten (German Edition)
Balkon steht Lena und sieht ihm mit bangen Blicken zu.
Hoffentlich kommt niemand von den Mietern auf die Idee, ausgerechnet jetzt
seinen Müll in die Tonnen einzuwerfen oder auf seinen Balkon hinauszugehen. Das
würde noch fehlen! Geschafft! Die letzten eineinhalb Meter springt er hinunter,
blickt nach oben, wo Lena ihm erleichtert und ihn insgeheim bewundernd den
ausgestreckten Daumen zeigt.
Kokoschansky zieht das Handy aus der Jackentasche, wählt Freitags Nummer
und hat Glück, dass sein schwarzafrikanischer Freund mit seinem Taxi auf einem
Standplatz in der Nähe in aussichtsloser Position steht. Kokoschansky
verabredet mit ihm, ein paar Gassen weiter auf ihn zu warten, und beeilt sich.
Kaum fünf Minuten später bremst der Rastamann sich ein. »Hey, wie siehst
du denn aus? Hast du wieder einmal deine Mistkarre repariert?«, grinst Freitag,
lässig den Ellenbogen auf dem Fensterrahmen aufgestützt und in Anspielung auf
Kokoschanskys altersschwache Rostlaube. Jetzt erst bemerkt der Journalist, dass
er von oben bis unten total verdreckt ist.
»Ach«, Kokoschansky wehrt ab, »bring mich nur schnell hier weg.«
»Ja, Bwana, Freitag fahren, und Massa sagen, wohin.«
Kokoschansky springt in den Mercedes, kauert sich zusammen und sagt ihm,
wohin es gehen soll. Während der Fahrt erzählt er ihm, was sich in den letzten
Stunden ereignet hat.
»Das gibt es doch alles nicht!«, staunt Freitag. »Das Ding mit dem
untergejubelten Koks ist aber eine fiese Nummer. Ich lasse mir einreden, wenn
das bei mir zu Hause in Nigeria passiert, okay, dort zählt es zum Alltag, und
kein Hahn kräht danach. Aber hier im Vorzeigeland Österreich! Du pokerst hoch,
mein Freund.«
»Ich weiß«, sagt Kokoschansky nachdenklich.
»Und wenn du dich verschätzt hast? Was dann?«
»Dann bin ich erledigt. Ganz einfach.«
»Wenn es allerdings klappt, dann gute Nacht. Scheiße, warum habe ich
nicht Radio gehört.«
»Weil immer dein Reggae plärrt …«
Inzwischen sind sie in der Nähe von Mitnicks geheimem High-Tech-Labor
eingetroffen.
»Nimm’s nicht persönlich, Freitag, aber Mitnick ist nicht nur ein
komischer Kauz, sondern auch sehr vorsichtig. Darum gehe ich die letzten Meter
zu Fuß. Aber du wirst ihn sicherlich demnächst kennen lernen.«
»Lass mal gut sein, Koko. Das verstehe ich. Schaff deinen Scheißkoks her,
und pass auf, dass nicht deine Fingerabdrücke darauf landen.«
*
Leise surrt und rattert der Drucker vor sich hin. Lena nimmt das kurz und
bündig verfasste Kündigungsschreiben aus dem Papierfach. Sie hat nicht vor,
sich lange Belehrungen anzuhören, sich vielleicht der Gefahr eines
Disziplinarverfahrens auszusetzen, wenn sie bei ihren obersten Vorgesetzten zum
Rapport antritt und sie verständlicherweise ihre Zunge nicht im Zaum halten
kann. Nach Kokoschanskys Auftritt vor laufenden Fernsehkameras ist alles
möglich. Wenn man jemanden loswerden will, schafft man es auch, sofern man am
längeren Ast sitzt. Das will sie sich nicht länger antun.
Noch lässt sie sich Zeit mit dem Rückruf im Sekretariat des
Landespolizeikommandanten. Nachdenklich sitzt sie auf einem Stuhl in der Küche,
spielt gedankenverloren mit einer Haarlocke und obwohl sie sich dagegen zu
wehren versucht, lässt ihr die Wehmut keine Chance, und zeitweilig schimmern
ihre wunderschönen Augen feucht.
Ja, es war durchaus eine schöne Zeit als Polizistin, doch in letzter Zeit
nehmen die Schattenseiten immer mehr überhand, die ihr den Beruf zusehends
vergraulen. Solange sie mit Kokoschansky zusammenlebt und die Uniform trägt,
wird sie weiterhin scheel angesehen und gemobbt. Hinterrücks das Getuschel und
ständig auf der Hut sein, um hinterhältige Angriffe abzuwehren. Man wird sie
bei Beförderungen übergehen, nur wer linientreu bleibt und kuscht, sich
anpasst, dem wird der Lorbeer zuteil.
Unabhängig von den internen Querelen machen ihr auch zusehends die
ständig zunehmenden bürokratischen Hürden zu schaffen. Der Verbrecher darf
alles, der Polizist hat das Nachsehen. Das gilt natürlich nicht für den
kleinen, unbedeutenden, sprichwörtlichen Hühnerdieb. Der bekommt weiterhin die
volle Härte des Gesetzes zu spüren. Jene mit den weißen Hemdkrägen, die
tatsächlich die großen Dinger drehen, sind längst tabuisiert, werden von der
Justiz mit Glacéhandschuhen angefasst und lachen sich ins Fäustchen. Die
Staatsanwaltschaften ersticken unter Aktenbergen, werden von der Politik
zurückgepfiffen, sobald sich auch nur der leiseste
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