Dunkle Schatten (German Edition)
dumm, aber auch durchtrieben, bauernschlau und
abgebrüht. Eben nichts weiter als kleine Lichter, die am großen Kuchen
mitnaschen wollten und, wie man inzwischen weiß, es auch gründlich getan hatten.
Der, der einiges wusste, Oberstaatsanwalt Bortner, hat sich leider überraschend
angeblich selbst das Lebenslicht ausgeblasen.«
»Du wirst diese Hintermänner von uns frei Haus geliefert bekommen, Koko.«
»Hattet ihr jemals mit der Agentur eines gewissen Othmar Kaltengruber zu
tun? Einem Lobbyisten, der mächtig Dreck am Stecken hat und ständig mit Midas
und dessen Kumpanen mauschelte.«
»Nein«, antwortet Saller, »aber wir wissen, wer er ist. Du nimmst mir das
Wort aus dem Mund, Koko, ich wollte dich gerade auf diesen Typen aufmerksam
machen. Er stand zwar im Fadenkreuz Bortners, doch konnte ihm bisher nichts
nachgewiesen werden. Er ist eine der Schlüsselfiguren.«
»Ich frage mich bereits die ganze Zeit über«, Kokoschansky nimmt kein
Blatt mehr vor den Mund, »und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ihr
genügend Leute an der Hand habt, warum ihr nicht mit euren Mitteln ein paar
Leute zum Schweigen bringt.« Eine brisante Wortwahl, die der Journalist
gebraucht, aber inzwischen ist es egal geworden.
»Sprechen Sie ruhig aus, was Sie denken, Signore Kokoschansky«, beginnt
Salvatore Madeo bedächtig, aus dem Nähkästchen zu plaudern. »Sie meinen ein
paar Killer ausschicken und Figuren, wie zum Beispiel Midas, eliminieren?
Sicherlich wäre das eine Option, wenn auch eine sehr schlechte. Man setzt die
Mafia immer noch gleich mit waffenstarrenden, dumpfen Männern, die zuerst
schießen und danach fragen …«
»Und was sehe ich hier?«, kann Kokoschansky es nicht lassen, deutet in
die Runde, wo in angemessener Entfernung genau diese waffenstarrenden Männer
den Tisch bewachen und im Auge behalten.
»Das sind Leibwächter, Bodyguards, wie unschwer zu erkennen ist«, weist
Madeo ihn barsch zurecht, »unterbrechen Sie mich nicht, wenn ich versuche,
Ihnen zu erklären, was wirklich Sache ist.« Kokoschansky nickt, hebt die Hände
als Zeichen, dass ihm seine vorlaute Art leidtut. »Sie sind ein gebildeter,
wohlinformierter Mann, Signore Kokoschansky«, Madeos Stimme ist wieder
versöhnlich geworden, »daher wissen Sie, welche ungeheure Macht meine Familie
und andere Clans in unserem Verbund haben und dass wir über ungeheuren Reichtum
verfügen. Eines greift ins andere. Geld ist Macht, und Macht entsteht durch
Geld. Wenn wir wollen, können wir es uns leisten, Staaten zu kaufen. Wir sind
in der Lage, Staatshaushalte zu sanieren. Warum sollten wir das tun? Die Mafia
von heute verfolgt ganz andere Ziele als noch vor einigen Jahrzehnten. Es geht
nicht mehr nur darum, welcher Clan welches Gebiet kontrolliert, wer an wem
seinen pizzo… wie heißt es in Deutsch … Schutzgeld zu bezahlen hat. Damit kann
man sich bei uns seine ersten Sporen verdienen und wenn wir befinden, wir
können diese Männer gebrauchen, dann dürfen sie sich langsam weiter
hocharbeiten. Heute ist Bildung für uns enorm wichtig. Meine Söhne haben in Oxford,
Bologna, Paris und Yale studiert. Studienrichtungen, die für unsere Familie von
äußerster Wichtigkeit sind. Jura, Ökonomie, Betriebswirtschaft, Management,
Informatik. So gehen auch inzwischen alle anderen Familien vor. Nach
erfolgreichen Studienabschlüssen und ihren Fähigkeiten entsprechend schleusen
wir unsere Angehörigen in die für uns Vorteile bringenden Schlüsselpositionen
ein, und niemand hat auch nur die geringste Ahnung, wer tatsächlich hinter den
Schreibtischen sitzt, Entscheidungen zu unseren Gunsten tätigt, Gesetze in
unserem Sinne beschließt und Trends in unserem Sinne beeinflusst. Wir danken
den Schöpfern der EU, dieser wunderbaren Schlaraffenlandinstitution, weil wir
endlich in Europa nach Belieben schalten und walten können, wie es uns passt.
Brüssel muss gute Miene zum bösen Spiel machen. Wir bedienen uns aus den
Fördertöpfen nach Belieben. Uns kann niemand aufhalten. Weder Sie, Signore
Kokoschansky, noch Tausende Ihrer Kollegen. Keine Antimafia-Gesetze, keine
Sondereinheiten, keine Antikorruptionsbehörden, keine Staatsanwaltschaften,
keine Polizei, keine Armeen auf diesem Planeten. Wir sitzen mitten im Herzen
der EU, in Brüssel, wie in beinahe allen Staaten dieser Welt und bekleiden in
unterschiedlichsten Funktionen Schlüsselämter. Es gibt dieses geflügelte Wort.
Warum leckt sich der Hund seine Eier? Weil er es kann. Im übertragenen
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