Dunkle Schwinge Bd. 2 - Der dunkle Pfad
hatte noch nicht genug Zeit gehabt, um sich einzuleben. An Bord der Rrith hatte sie keine Aufgaben zu erledigen, also nutzte sie die Zeit, um sich körperlich zu ertüchtigen und zu lesen. Viele Stunden verbrachte sie im Kraftraum, wo sie allein gegen simulierte Gegner focht. Sie ging die Eintragungen in ihrem persönlichen Logbuch durch, immer auf der Suche nach einem Hinweis darauf, dass sie irgendetwas übersehen hatte, das sie die Entwicklung auf Cicero rechtzeitig hätte erkennen lassen. Sie widmete sich der Kultur der Zor, und wenn sie bis zur Erschöpfung trainiert hatte, dann las sie, bis sie über ihren Texten einschlief. Immerhin schien es ihr zu helfen, ihre Gedanken von bestimmten Themen abzulenken.
Am Abend vor dem Sprungende hatte Jackie sich vorgenommen, den Anfang der Legende von Qu’u zu lesen. Bis dahin hatte sie einen großen Bogen um das Thema gemacht, da sie befürchtete, die Lektüre könnte sie im Schlaf verfolgen – mit Konsequenzen, die sich nicht abschätzen ließen. Diese Angst machte ihr deutlich, dass sie sich früher oder später ohnehin damit würde befassen müssen. Gut informiert zu sein, war der einzig gangbare Weg.
Anstatt in ihrer Kabine zu bleiben, war sie nach oben aufs Aussichtsdeck des Schiffs gegangen, das während eines Sprungs üblicherweise so gut wie leer blieb, da es draußen nichts zu sehen gab. Dort fand Ch’k’te sie, während sie las und auf ihrem Computer Notizen machte.
Nahe dem Eingang zu dem weitläufigen Raum blieb er stehen, als fürchtete er sie zu stören. Sie sah von ihrer Lektüre auf und winkte ihn herbei. Er zögerte kurz, dann verbeugte er sich und flog quer durch den Raum, um auf der Sitzstange ihr gegenüber Platz zu nehmen.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie und legte die Hände gefaltet auf den Tisch.
»Ich möchte mich nach Ihrem Wohlergehen erkundigen.« Seine Flügel nahmen eine andere Position ein.
»Ich halte mich aufrecht.« Sie tippte mit dem Stylus mehrmals auf den Tisch. »Unter den gegebenen Umständen sollte ich wohl sagen, es geht mir gut. Immerhin muss ich nun in einer fremden Kultur ganz allein zurechtkommen.«
»Sie sind nicht allein …«
»0 doch, das bin ich sehr wohl«, fiel sie ihm ins Wort und knallte den Stylus auf die Tischplatte. »Der Hohe Kämmerer befindet sich nicht an Bord, und er wollte mir auch keine Fragen mehr beantworten. Sie halten seit kurzem Abstand zu mir …«
»Da ist immer noch si Th’an’ya.« Wieder bewegte er seine Flügel. Sie war fast überzeugt, diese gleiche Haltung schon zuvor gesehen zu haben, als er von seiner Partnerin sprach. Er hatte ihrem Namen nicht das vertrautere li vorangesetzt, das besagte, dass sie seine Partnerin gewesen war, sondern ein si, mit dem man eine verstorbene Person bezeichnete.
Jackie atmete tief durch. Ihr war klar, wie schwierig es für Ch’k’te sein musste, darüber zu reden. »Seit dem Abend des Dsen’yen’ch’a habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen. Ich fürchte mich ein wenig davor, sie zu rufen.«
»Sie ist … sie ist da, um Ihnen zu helfen. Sie würde Ihnen nichts tun.«
»Das weiß ich nicht so genau. Ich bin ihr kaum richtig begegnet. Sie verschweigt einiges.«
»So wie Sie.«
»Und so wie Sie. Verdammt, was hat sie Ihnen gesagt? Was ist geschehen, Ch'k'te? Sie und ich, wir beide haben schon einiges durchgemacht, aber auf einmal behandeln Sie mich, als hätten Sie ein Idol vor sich, das sie nur aus der Ferne bewundern können. Ich … mir ist klar, dass sich einiges verändert hat, dass ich mich verändert habe – auf eine Weise, die ich ja selbst nicht mal verstehe. Ich schaffe das nicht allein.«
»Letzten Endes werden Sie den Pfad allein gehen müssen«, erwiderte er und senkte den Blick.
»Sie haben auf meine Frage nicht geantwortet.«
»Es tut mir leid.«
»Ich will nicht, dass es Ihnen leid tut!« Sie stand auf und wandte ihm den Rücken zu. »Es gibt nichts, was Ihnen leid tun muss.«
Sie hielt inne und versuchte, ihre Verärgerung in den Griff zu bekommen. Dann drehte sie sich wieder zu Ch’k’te um und breitete die Hände aus. »Wir sind jetzt ganz allein. Hier im Sprung, weit weg von jedem und allem. Es wird Zeit, reinen Tisch zu machen. Ich will wissen, was Th’an’ya zu Ihnen gesagt hat.«
Lange Zeit schwieg Ch’k’te, dann verließ er die Sitzstange und ging langsam um den Tisch herum, an dem Jackie gesessen und gearbeitet hatte. Er beugte sich vor und hielt seine Klauenhände gespreizt.
»se Jackie, wir
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