Dunkle Sehnsucht des Verlangens
nächsten Wochen würde sie
noch einige Konzerte geben, doch dann trat die Gruppe ihren wohlverdienten
Urlaub an. Die Mitglieder ihrer Familie bereiteten sich bereits auf die
Auftritte vor und warteten ungeduldig auf ihre Ankunft. Desari und Julian
würden noch in dieser Nacht die Strecke zum neuen Camp zurücklegen müssen.
Schon jetzt hatte sie ihr letztes Konzert verpasst. Julian wünschte sich, sie
würde alle verpassen, doch die Konzerte waren bereits angekündigt, und Desari
wollte ihr Publikum nicht enttäuschen. Dennoch gefiel es Julian nicht, dass
alle Welt wusste, wo sie sich als Nächstes aufhalten würde. Er blickte zum
Himmel. Die Nacht war sternenklar und schien ihn und Desari willkommen zu
heißen. Das Wasser umspülte seinen Körper, und eine leichte Brise raschelte in
den Blättern der Bäume. Fledermäuse zogen über ihren Köpfen ihre Kreise. Seine
Welt. Die Nacht. Dann beobachtete er Desari, die mit kräftigen Zügen durch den
See schwamm. Julian war mit einigen Kraulzügen bei ihr, hielt jedoch etwas
Abstand. Sie war fest entschlossen, das nächste Konzert zu geben und sich in
Gefahr zu bringen, nur um die Sterblichen zu unterhalten.
Hart schlug Julian mit der Faust
ins Wasser, sodass eine Fontäne aufspritzte. Das Geräusch erregte Desaris Aufmerksamkeit.
Er spürte sie in seinem Geist, ehe er noch seine Gedanken vor ihr verbergen
konnte.
»Nicht nur, um Sterbliche zu
unterhalten, Julian, sondern auch für mich selbst und meine Familie. Für
Darius. Er muss sich mit etwas beschäftigen. Im Laufe der Jahrhunderte hat er
sich so sehr verändert. Ich kann nicht riskieren, meine Karriere jetzt
aufzugeben, da er mich so nötig braucht. Das habe ich dir bereits erklärt.«
Julian hatte ihr schon
versprochen, mit ihr bei ihrer Familie zu bleiben, damit sie sich nicht um
Darius sorgen musste. »Ich habe meine Meinung nicht geändert, piccola. Ich denke einfach nur darüber
nach, wie nachgiebig ich mit dir gewesen bin. Du könntest mir ein wenig helfen,
indem du lernst, was Gehorsam bedeutet.« In Wahrheit schämte sich Julian, weil
er sie in Gefahr gebracht hatte und nicht stark genug gewesen war, sie zu
verlassen. Handelte es sich nicht um eine Frage der Ehre? Sein Leben lang war
er immer seinem Ehrgefühl gefolgt, doch jetzt, da es am meisten darauf ankam
...
Desaris leises Lachen hallte
durch die Nacht. »An deiner Stelle würde ich nicht darauf warten. Es wird gut
für dich sein, dich mit meiner Familie auseinander zu setzen und mit
Sterblichen abzugeben. Es wird dein Sozialverhalten bestimmt extrem
verbessern.«
»Willst du damit sagen, dass
mein Sozialverhalten der Verbesserung bedarf?« Seine Stimme hatte einen
drohenden Unterton angenommen, und als er auf sie zu schwamm, glitt sein Körper
mit müheloser Anmut dahin.
Desari spritzte ihm Wasser ins
Gesicht und tauchte unter, um sich seinem Griff zu entziehen. Sie spürte seine Finger
an ihrem Knöchel und trat nach ihm, in der Hoffnung, Abstand von ihm zu
gewinnen, ehe sie wieder auftauchen musste. Doch es fiel ihr schwer, den Atem
unter Wasser anzuhalten, weil sie lachen musste und so gezwungen war, wieder
aufzutauchen. Sofort zog Julian sie in die Arme.
»Ich kann dich immer finden, cara mia«, erinnerte er sie. »Du wirst mir
niemals entkommen.«
»Darauf solltest du dich nicht
zu sehr verlassen«, erwiderte Desari und begann, leise zu singen.
Fasziniert lauschte Julian den
Klängen, die auf den Wellen des Sees zu tanzen schienen. Er bewunderte Desaris
Fähigkeiten. Verfügten alle karpatianischen Frauen über solche Gaben? Die
wenigen Frauen, die er je kennen gelernt hatte, waren nach karpatianischer
Zeitrechnung noch viel zu jung gewesen, um bereits die komplizierteren
Fähigkeiten erlernt zu haben. Die Klänge von Desaris Melodie stiegen als feine,
silberne Lichtpunkte in die Luft, sie schienen zu tanzen und sich zu wiegen,
als verfügten sie über ein Eigenleben. Julian überkam ein Gefühl des Friedens,
das ihn einhüllte und dazu brachte, seinen Körper zu entspannen. Einen
Augenblick lang schien sein Verstand nicht mehr zu funktionieren, sondern nur
noch das beruhigende Rauschen der Wellen und die Reinheit von Desaris Stimme in
sich aufnehmen zu wollen. Seit seiner Kindheit hatte er keinen so umfassenden
Frieden mehr gekannt.
Absichtlich tauchte Julian
unter, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Er war wütend auf sich
selbst. Schon wieder hatte er sich ganz seiner Faszination für Desari
hingegeben und sich
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