Dunkle Tage
melden wollen.“
„Der Prozess ist vorbei.“
„Und die Wahrheit wurde dabei beerdigt. Meinen Sie nicht, dass die Menschen ein Recht darauf haben, sie zu erfahren? Meinen Sie nicht, dass die Tote ein Recht darauf hat?“
„Ich … überlege es mir.“
„Vielleicht können Sie einen Teil Wiedergutmachung leisten.“
„Wie?“, fragte Leander mit der Stimme einer verlorenen Seele, die im letzten Moment noch eine dünne Chance sieht, dem Fegefeuer zu entkommen.
„Verraten Sie mir: Wer ist Thor?“
Leander rang mit sich. „Ich habe nur einmal gehört, wie jemand ihn so nannte“, sagte er unbestimmt und leckte sich wieder über die Lippen.
„Es ist Hauptmann Pabst, nicht wahr?“
Leander nickte.
13
„Was haben Sie herausgefunden?“, war das Erste, was Diana fragte, kaum dass sie Hendriks Wohnung betrat.
„Sie verlieren keine Zeit, was? Ich glaube, wir sollten auf meinen Bruder warten, dann muss ich nicht alles zweimal erzählen.“
„Wenn Sie meinen“, erwiderte sie enttäuscht.
Während er ihren Mantel aufhängte und Tee machte, sah sie sich um.
Das Arbeitszimmer war zweckmäßig eingerichtet, ohne dass es dadurch nüchtern wirkte. Bücherregale verdeckten alle Wände, vom Boden bis zur Decke. Eine Leiter, in einer ringsum verlaufenden Schiene eingehakt, ermöglichte es, auch die oberen Fächer zu erreichen. Das Wohnzimmer war vergleichsweise großzügig ausgestattet. An den Wänden hingen Landschaftsgemälde unbekannter Künstler und die Reproduktion eines Frauenbildes von Mucha. Eine Sitzecke lud dazu ein, es sich bequem zu machen und ein Buch zu lesen oder ein anregendes Gespräch zu führen.
Diana nahm die stumme Einladung an und ließ sich auf dem Sofa nieder. „Na schön“, sagte sie, als Hendrik ihr gegenüber Platz genommen hatte. „Wovon reden wir, wenn nicht über den Fall?“
„Ich weiß nicht … Erzählen Sie mir von sich. Was mögen Sie, was sind Ihre geheimen Leidenschaften?“
„Tanzen! Und Musik! Kennen Sie den Tiger Rag ?“ Sie pfiff ein paar Takte. Where’s that Tiger? Hold that Tiger!
„Das ist diese neue Jazz-Musik, nicht wahr?“ Er zuckte die Achseln. „Nicht mein Fall.“
„Oh!“
Schweigen breitete sich aus. Beide horchten, ob nicht endlich der Teekessel pfiff, aber er tat ihnen nicht den Gefallen.
„Und Sie? Was mögen Sie gern?“, erkundigte sich Diana.
„Also gut“, lachte Hendrik, „ich gebe mich geschlagen. Reden wir über den Fall.“
„Wir können ja zunächst mal den Mordablauf rekonstruieren.“
„Lassen Sie uns eine Tatortskizze machen.“ Hendrik nahm seinen Skizzenblock und holte eine Hand voll Bleistiftstummel aus einer Schachtel. Dann zeichnete er den Grundriss des Unger’schen Seitentraktes und fügte ein paar Möbel ein. „Hier lag Ihr Onkel, als die Polizei kam. Soweit wir wissen, geschah Folgendes: Um acht Uhr hatte er eine Auseinandersetzung mit seinem Bruder Friedrich. Der verließ das Zimmer nach eigener Aussage gegen acht Uhr fünfzehn. Das ist der Zeitpunkt, zu dem Ihr Onkel zuletzt lebend gesehen wurde. Um acht Uhr dreißig hatte er laut Terminkalender einen weiteren Gast, Thor, von dem wir annehmen, dass es derselbe ist, dessen Aussehen und Kleidung Joseph beschrieben hat, und von dem ich aufgrund neuer Hinweise vermute, dass es sich um Hauptmann Pabst handelt. Spätestens um zehn ist Max Unger tot. Hm, das bringt uns nicht viel weiter.“
„Da war doch von einem Gebüsch die Rede.“
„Richtig!“ Hendrik zeichnete ein paar Zweige und Blätter. „Hier stand jemand und beobachtete vermutlich Ihren Onkel.“ Er karikierte eine Figur, die mit grimmigem Gesicht Richtung Haus blickte.
Diana schmunzelte. „Der sieht ja aus wie unser Reichspräsident.“
Hendrik legte den Kopf schief, um sein Werk zu begutachten, nickte zustimmend, verstärkte das Bärtchen, das er der Figur gegeben hatte, und schrieb etwas darunter.
„Was soll denn das heißen?“
„,Friedrich Ebert‘. Wollen Sie etwa behaupten, Sie können meine Schrift nicht lesen?“
„Das sind keine Worte, sondern Würmer!“
Ohne eine Miene zu verziehen, machte Hendrik aus den Buchstaben Raupen und Maden. Als er diese dann auch noch auf einem Motorrad akrobatische Kunststücke vollführen und mittels einer Bildunterschrift das Deutschlandlied absingen ließ, war es mit Dianas Beherrschung vorbei.
„Aufhören!“, keuchte sie und brauchte geschlagene fünf Minuten, bis sie sich wieder im Griff hatte: „O Gott, das war unglaublich!“
„Wir sind
Weitere Kostenlose Bücher