Dunkle Tage
furchtbar albern!“, meinte Hendrik, dann sahen sie sich an und brachen erneut in Gelächter aus, bis ihnen die Seite wehtat.
Hendrik riss das Blatt ab, knüllte es zusammen und warf es in den Papierkorb. „Ablage für wichtiges Beweismaterial“, erklärte er.
Diana hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht wieder loszuprusten. „Wo haben Sie so gut zeichnen gelernt?“
„Ach, keine Ahnung, ich habe immer schon gezeichnet. Manchmal lockere ich meine Vorlesungen damit auf, dass ich meine Thesen mit Hilfe von Karikaturen illustriere, aber die Ordinarien sehen das nicht gern. Es untergräbt die ehrwürdige Aura, die jeden Professor zu umgeben hat.“
„Kann ich mir vorstellen.“ Ehe Hendrik es verhindern konnte, blätterte sie in seinem Skizzenblock und stieß dabei auf die Karikaturen, die er während des Verhörs gemacht hatte. Erst warf sie ihm einen entrüsteten Blick zu, als sie jedoch auf die Zeichnung von Käte Unger stieß, brachte sie es nicht länger fertig, ihre ernste Miene beizubehalten. „Sie haben meine Familie gut getroffen, besonders meine Tante. Aber für das Eichhörnchen werde ich mich revanchieren, warten Sie nur!“
Das Pfeifen des Teekessels unterbrach sie zu Hendriks Erleichterung. Er ging in die Küche und kam mit zwei Tassen zurück.
„Wie gehen wir vor, sobald wir drei unsere Erkenntnisse zusammengeworfen haben?“, wollte Diana wissen.
„Wenn es nach meinem Bruder geht, gehen wir überhaupt nicht vor.“
„Aber es geht nicht nach Ihrem Bruder, nicht wahr?“
Hendrik erwiderte ihr Lächeln. „Nein, das tut es nicht.“
„Wir sollten unsere Taktik beibehalten, finden Sie nicht? Getrennt nachforschen, vereint schlagen – das war doch bis jetzt ziemlich erfolgreich. Und von Zeit zu Zeit treffen wir uns und tauschen Beobachtungen aus.“
„In Ordnung, machen wir Nägel mit Köpfen! Mein Bruder setzt auf die Broschecks, gut. Wir verfolgen die anderen Spuren, wenn Sie damit einverstanden sind. Sie kümmern sich um Ihre Familie und ich mich um die politischen Verflechtungen.“
„Meine Familie? Wie langweilig!“
„Es würde wenig Sinn machen, wenn ich versuchen würde, Ihre Onkel auszuquetschen.“
Das sah Diana ein, aber es gefiel ihr dadurch nicht besser. „Also schön, beiße ich eben in den sauren Apfel. Dann werde ich morgen – ach nein, morgen bin ich bei einer Sitzung. Der Reichsbund der Deutschen Technik hat Wissenschaftler und Ministerialbeamte eingeladen, um zu beraten, wie wir angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs die Wissenschaft retten können. Professor Planck ist auch dort. Er möchte, dass ich mitkomme.“
„Was fasziniert Sie eigentlich so an der Physik?“
„Vermutlich dasselbe, was Sie an der Philosophie fasziniert: Ich möchte die Welt verstehen. Herausfinden, was hinter der nächsten Ecke liegt. Grenzen sprengen.“
„Sagen Sie, findet morgen nicht auch die Beerdigung statt?“
„Was meinen Sie, was ich mir deswegen bereits habe anhören müssen! Aber natürlich lasse ich eine so wichtige Tagung nicht einfach sausen. Ehrlich gesagt, bin ich ganz froh, dass ich das verlogene Geschwätz auf der Trauerfeier nicht ertragen muss.“
„Kann ich gut nachvollziehen. Ich hatte heute Nachmittag ein unerquickliches Gespräch mit unserem Rektor, der mir wegen meiner gestrigen Vorlesung eine Rüge erteilt hat und sich Konsequenzen überlegen will.“
„Was wird er, Ihrer Meinung nach, tun?“
„Angesichts des Wirbels, den der Fall Nicolai verursacht, könnte es sein, dass ich glimpflich davonkomme.“
„Sie sagen das, als würden Sie sich nicht darüber freuen.“
„Ist es nicht furchtbar, dass man heutzutage schon froh sein muss, wenn einem das Aussprechen der Wahrheit keine unmittelbaren Nachteile einträgt? Dabei sollte mich das nicht überraschen. Mein vorlautes Mundwerk hat mich schon als Kind in Schwierigkeiten gebracht. Es war Gregor, der mich immer wieder rausgehauen hat. Er ist der Realist von uns beiden. Er schimpft oft mit mir, dass ich die Situation, in der ich für eine Überzeugung eintrete, nicht einfach ignorieren kann. Und natürlich hat er Recht damit.“ Er spielte mit seiner Teetasse. „Es ist … lange her, dass ich eine so engagierte Vorlesung gehalten habe wie gestern. Wissen Sie, im Grunde bin ich ja froh, dass ich nicht mehr so verbohrt bin wie früher. Dass ich gelernt habe, den Wert von Kompromissen zu erkennen. Wie Nietzsche sagt: Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen . Aber
Weitere Kostenlose Bücher