Dunkle Tage
weiß, aber wenn ich mir noch lange das Geschwätz von Onkel Hermann anhören muss, drehe ich durch!“
„Ziehen Sie zu mir!“, sagte Hendrik, ehe ihm das Ungeheuerliche seines Vorschlags bewusst wurde. Sie sahen sich an und grinsten wie auf Kommando los. „Im Ernst. Ich habe noch Platz, wie Sie sehen, und würde mich über etwas Gesellschaft freuen.“
Es gefiel ihr ausnehmend gut, wie er sich über jede Konvention hinwegsetzte. Sie konnte beinahe Hermanns entsetzten Aufschrei hören. Vermutlich hätte sie selbst auch schockiert sein müssen, aber sie war es nicht.
Ihre Reaktion ermutigte ihn. „Kommen Sie, lassen Sie uns mal sehen, wie es funktionieren könnte.“
Er führte Diana in einen Raum, der hauptsächlich als Rumpelkammer zu dienen schien, was eine Verschwendung war angesichts der stuckverzierten Wände und der großen Fenster, die das Zimmer bei Tag bestimmt hell und freundlich machten und eine wundervolle Aussicht auf den Winterfeldtplatz und die Matthiaskirche boten.
„Ich kann das alles ausräumen“, sagte er. „Bad und Küche sind klein, aber sie erfüllen ihren Zweck. Wir teilen uns die Miete und sparen nicht nur Geld, sondern können auch die intellektuellen Messer aneinander wetzen, wenn uns danach ist. Na, was sagen Sie?“
Der Vorschlag hatte eine Menge für sich. Je mehr Diana darüber nachdachte, desto mehr erwärmte sie sich für den Gedanken. Die Wohnung war anheimelnd, und Hendriks Gesellschaft wäre ein zusätzliches Plus. „Warum leben Sie allein?“, wollte sie wissen. „Warum sind Sie nicht verheiratet?“
„Ich war einmal verlobt.“
„Und?“
„Sie konnte eine bessere Partie bekommen. Und wissen Sie, was das Schlimmste daran ist?“
Sie schüttelte den Kopf und biss sich auf die Lippen. Wieder mal ins Fettnäpfchen getreten! Typisch! Wie ungeschickt von ihr, an einen solchen Schmerz zu rühren!
„Ihr Ehemann ist ein begeisterter Verehrer von Johann Strauß.“
Sie kicherte.
„Finden Sie nicht, dass das auf einen abartigen Charakter deutet?“
„Sie hinterlistiger Schuft! Und ich dachte schon, ich hätte alte Wunden aufgerissen!“
„Haben Sie! Ich meine: Johann Strauß! Was für Abgründe tun sich da auf!“ Er kehrte mit ihr ins Wohnzimmer zurück. „Sie haben sich noch nicht zu meiner Frage geäußert.“
Diana streckte ihm die Hand hin. „Abgemacht!“
„Wunderbar!“ Verspätet fiel ihm ein, dass sie sein Ansinnen falsch interpretieren mochte. „Äh, ich hoffe, Sie verstehen mich recht, und … also … das war kein unsittlicher Antrag.“
Ein solcher Gedanke war ihr überhaupt nicht gekommen, vermutlich das sicherste Zeichen, dass dafür kein Grund bestand. „Meine Antwort war auch keine unsittliche Annahme Ihres Antrags.“
„Dann ist ja alles geregelt.“
„Wann darf ich einziehen?“
„Wann immer Sie wollen. Das Zimmer auszuräumen und herzurichten dauert nicht lange.“
„Geben Sie mir ein paar Tage, um meine Siebensachen zu packen und meine Familie schonend auf den Untergang des Abendlandes vorzubereiten. Sagen wir, irgendwann nächste Woche.“ Sie setzte sich wieder auf das Sofa. „Danke für das Angebot! Ich weiß es zu schätzen.“
„Glauben Sie nur nicht, dass ich Ihnen einen Gefallen tue – Sie tun mir einen!“
„Ich finde, wenn wir in Zukunft schon das schlagfertigste Duo seit Tom Sawyer und Huckleberry Finn werden, sollten wir zum Du übergehen.“
Hendrik schnippte mit den Fingern, sprang in die Küche und kam mit zwei gefüllten Kristallgläsern zurück. „Auf gute Partnerschaft, Diana!“, sagte er.
Sie nahm ein Glas und stieß es mit hellem Klingen gegen seines. „Auf gute Partnerschaft, Hendrik!“ Dann nahm sie einen Schluck und bekam einen Hustenanfall vor Lachen. Leitungswasser!
In diesem Moment klingelte es. „Mein Bruder“, vermutete Hendrik. Er und Diana blinzelten sich verschwörerisch zu, ehe er öffnete.
Gregor blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen, als er Diana erkannte. „Was machen Sie denn hier?“
„Dasselbe wie Sie: einen Besuch.“
„Ah!“ Gregors Blick wanderte zwischen den beiden hin und her.
„Nichts ‚ah‘!“, meinte Hendrik. „Komm herein und behalte deine Fantasien für dich. Ich dachte, es macht Sinn, wenn wir drei unsere Beobachtungen zusammenwerfen und sehen, was dabei rauskommt.“
„Du musst verrückt sein, wenn du glaubst, ich gebe Untersuchungsergebnisse an eine Verdächtige weiter.“
„Und ich werde mir sehr überlegen, ob ich die Resultate meiner
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